Boris Gott: Bukowski-Land

Boris Gott: Bukowski-Land

Es ist einer der verregneten Tage im August, wir treffen uns am Nordmarkt, hatte Boris Gott gesagt, und ich quäle mich gerade über den Borsigplatz, die Gummis der Scheibenwischer quietschen, ein Mülllaster versperrt mir die Sicht, hinten drauf hat jemand mit Kreide geschrieben: Schluck, du Luder. Typischer Nieselregen, der die Nordstadt keineswegs besser erscheinen lässt, vor mir ein grotesk anmutender Müllwagen, Tempo-30-Zone, Feinstaubareal, Mallinckrodtstraße.

[ruhr-guide] Ich parke Boris Gott: Bukowski-Landvor dem Haxen-Grill, gehe zum Kiosk und verfluche jeden einzelnen Regentropfen. Doch der Himmel besinnt sich und schließt seine Schleusen – wenn das kein Omen ist, denke ich, und auf einem bordeauxfarbenen Drahtesel radelt er an, hebt seine Hand von weitem: Boris Gott, Nordstadtmusiker. Bürgerlicher Name Boris Walter, im Lohnjob tätig als rechtlicher Betreuer und seit dem Jahr 2000 in diesem Viertel beheimatet.
Er ist nicht irgendwer, der zwei alte Fahrräder besitzt und sie an den Bahnhöfen Dortmund und Mühlheim abstellt, um seine Arbeitsstätte zu erreichen, Boris Gott hat ein Ziel, und das es hoch ist, verrät sein Künstlername, den er sich aus „reinem Größenwahn“ zulegte.

Musiker, die sich der deutschen Sprache verpflichten, haben es besonders schwer, man braucht noch mehr Glück, Protektion und, natürlich, das nötige Können. Deutsch singende Musiker werden entweder knapp kalkuliert oder gezielt Kontroversen ausgesetzt, denn der Markt ist vom Englischen beherrscht, übrig bleiben ein paar Nischenplätze, die erst frei werden, wenn jemand stirbt. Zudem die vorherrschende Konsumkultur der fast täglichen Erneuerung, in der man dazu neigt, das Geschäft als Schnelllebigkeit zu definieren.

Wir schlendern bis zum Restaurant Saray, Boris bestellt eine Suppe und erzählt. Ich hätte mir mehr Notizen machen sollen, wusste aber, dass ich, wenn ich sie verfasse, sie entweder verlege oder nicht mehr entziffern kann. Dennoch bleibt mir die Person, der Mensch Boris Gott, in guter Erinnerung, er spricht klar, meidet Floskeln und Wiederholungen, kommt auf den Punkt und schafft es dabei, die Suppe ohne störende Geräusche zu verzehren.

Ähnlich sind die Lieder und Texte seiner neuen CD „Bukowski-Land“, eine Hommage an Sehnsucht, Liebe, Tod, Teufel und Gott, Texte, die er in anderthalb Jahren gesammelt hat, „abstrakter Realismus“, sagt er und fügt an: „Es war harte Arbeit, damit sie rüberkommen, wie man sie verstehen soll.“ Hier bietet sich eine Alternative zur sinnentleerten Kuschelwelt, in der die Lyrik mal fix mit einem Reimlexikon entsteht: Gib mir Schnaps und Kokain/ das Leben stinkt/ ich brauch Parfüm (RTL&Rohypnol). Der Verfasser Boris Gott raucht nicht und hat das Trinken drangegeben, nur so könne er sich intensiv der Musik widmen, die ihn seit dem 14. Lebensjahr in den Bann gezogen hat. Ein Musiker der anderen Sorte, der den notorischen Schulterklopfern entflieht und nicht mehr von Groupies und Gelagen träumt, einer der sehend flaniert und Eindrücke sammelt, Gedankensplitter zu Sätzen formt und ihnen ein musikalisches Kleid gibt. Sein Blick wandert umher, registriert und, wie mir scheint, katalogisiert; womöglich eine neue Idee, die gerade Gestalt annimmt und über einen imaginären Resonanzkörper transportiert wird. Das Nordstadtviertel, so sein Kredo, die Menschen hier, unterscheiden sich vom Rest der Stadt durch diese geballte Sammlung verschiedenster Kulturen, man muss ihre Mimik lesen können, um ihre Geschichten zu ahnen, und die Worte richtig interpretieren, die sie sagen. Darum ist es nicht verwunderlich, wenn er singt (vielleicht von Danny Sugermans „No one here gets out alive“ inspiriert): Lebend kommt hier niemand raus/… Ich weiß selbst nicht wer ich bin/ Ich steh in der Fremde/ Kein Ende in Sicht weit und breit/ …

Natürlich hört man, welche Idole ihn am meisten beeinflusst haben: der U.S.-amerikanische Gossenpoet Charles Bukowski, der von der Überholspur direkt im Grab landete, und Johnny Cash, ein „wandelnder Widerspruch“, ebenfalls tot.
„Bukowski-Land“ ist eine Mischung aus Rock-Pop-Country, vielleicht »neue Volksmusik«, die man nachsingen kann, denn sie bedient auch, zum Teil, das Unterhaltungsbedürfnis, aber was die CD wirklich auszeichnet, ist ihre melodische Ader bzw. der gekonnte Bogen, Wort und Musik so zu verbinden, dass man weder von Schnulzen ohne Text, noch von mangelnder Melodie sprechen kann. Wenn Boris Gott sich im Song »Radiogesicht« auf die Schippe nimmt, ist das seine Art, zweifelsohne muss man ihm eine Radiostimme bescheinigen. Und überhaupt ist dem Mann Selbstironie nicht fremd: Engel wie wir sind keine Engel/ Große Fresse und schon zu viel Scheiß gebaut/ Wir weinen heimlich nur im Kino/ Haben dickes Fell, darunter dünne Haut.

Selbstverständlich möchte ich erfahren: Warum „Bukowski-Land“? Warum die Nähe zu diesem Kotzpoeten? Warum der dauernde Konflikt zwischen Masse und Individuum? Tja, weil er zur Abgrenzung Wert auf einen „exklusiven“ Geschmack lege, gerne polarisiere, sich nicht in Parteibücher pressen lasse, weil das Leben Scheitern und Hoffnung sei, die Ordnung im Chaos und der alltägliche Wahnsinn, nämlich: Ich hab kein Heimatland/ Nein, das ist abgebrannt/ Mir bleibt der Nordstadtstrand/ Bei uns hier im Revier regiert Hartz 4.

Boris Gott: Bukowski-Land„Der göttliche Funke ist immer noch ein Mysterium für mich. Er fällt vom Himmel. Allerdings ist die Ausarbeitung der ersten kleinen Vision dann mit viel Arbeit und Handwerk verknüpft“, sagt er und wischt mit abgezupften Brötchenstücken den Suppenteller leer. Der Kellner beäugt mich, das Saray-Restaurant ist für die Nordstadt schon fast zu nobel, und ich denke, vielleicht brauche ich etwas nebenher, um dem Kaffee Autorität zu verleihen?
Ja, meint Boris, früher habe er täglich Alkohol getrunken – zwecks Erfahrungsaustausch und Kult, wie das wohl jede Generation getan hat, bevor das Erwachsensein Grenzen zeigte.

Seine Biographie kommt mir bekannt vor: geboren (1972) und aufgewachsen in Kehl am Rhein – der Vater hatte ein Hotel und vertrank es systematisch – Schule, Studium, arbeitslos, als müsste nach der Uni zwangsläufig das Arbeitsamt folgen. Ein rastloser Mensch, der im Jahr 2000 beschloss, es professionell mit der Musik zu versuchen. Er stieg bei der Band „Couchgott“ ein, sie machten die CD „Lieder aus der Nordstadt“, doch später ging’s solo weiter.

Künstler brauchen Freiraum, psychisch wie physisch, jede Enge hemmt das Talent, multiple Künstler brauchen diesen Raum um so mehr, darum ist es nicht verwunderlich, als Boris sagt: „Meine Freundin wohnt in Mühlheim, ich in Dortmund.“ Er gehe öfter ruhelos durch seine Wohnung, von einem Zimmer ins andere, mit einem Gedanken im Kopf. Da sei jedes Geräusch Störung, das nicht von einem Instrument stammt.
„Du kommst mir vor wie ein Arbeitstier: Du textest, singst, spielst Akustik- und E-Gitarre, Piano, Orgel, Mandoline, Percussion.“
„Ich dachte früher, mein Gott, erst ewige Zeiten Instrumente lernen. Heute nehme ich ein neues Ding in die Hand und lege einfach los.“
Den absoluten Perfektionismus kann er sich nicht mehr leisten, wird man doch mit entsprechendem Alter entweder Teil der Kaufhausmusik, dümpelt als Alleinunterhalter auf Parties und Beerdigungen oder schafft es nach oben. In vielen Garagen stehen keine Autos, sondern spielen junge Leute, die Verstärker beanspruchen, Gitarren und Drums malträtieren, oftmals ausgelöst durch die Unfähigkeit, außerhalb der Schule in einer strukturierten Umwelt zu funktionieren, gekoppelt an den Wunsch der Anerkennung über Dinge wie Sex, Drugs und Rock&Roll.

Boris Gott hatte Glück, das Label Langstrumpf Records entdeckte ihn. Damals veröffentlichte Langstrumpf Bands wie „Sturmschäden“, „Swoons“ oder „Great Tuna“. Er hat einen Manager: Michael Klaucke. „Bukowski-Land“ geht mit einer beachtlichen Auflage von 1000 Stück an den Start. Im November folgt die Promotiontour. Seine Mitstreiter sind Doc Harp, Rüdiger Stirnberg, Stefan Zacharias, Marko Schmidt, Frank Kleingünther, Michael Klaucke und der Wemser-Chor. Die CD wurde im Studio 27 von Stefan Zacharias aufgenommen, gemischt und gemastert.

Boris Gott: Bukowski-Land„Sicherlich eine Teufelsarbeit“, sage ich grinsend.
„Der typische Zeitdruck, jeder Tag kostete Geld.“

Boris bestellt eine Cola, für mich nichts mehr, nein, danke. Ich beobachte ihn aus den Augenwinkeln, und mein Eindruck verfestigt sich, dass er der rastlosen Spezies angehört, die kurz in der Nordstadt weilt – „Bänkelsänger der Globalisierung“ – und in wenigen Jahren wieder ganz woanders. Vielleicht hat der Mensch im Allgemeinen, zumindest jener, der sich der Kunst verschrieben hat, die Wurzeln als psychische Notwendigkeit überschätzt. Vielleicht ist der Drang nach Draußen größer, das Verlangen, der Wille, der Hunger anderswo zu sein, tiefer. Aber noch ist Boris Gott hier zuhause; die anderen Ecken, ausgenommen die Innenstadt, kenne er kaum und er sagt: „Die Nordstadt hat ein großes Herz für Gestrandete aller Nationen und Kulturen.“

Wir sprechen über verschiedene Musiker, Bands, Liedermacher. Dem Mainstream unterworfene und etablierte Typen sind ihm zuwider. Dann eher Bob Dylan, Mountain Boys, Countrymusik der Outlaws.

„Früher hab‘ ich gerne Dinosaur Jr. gehört.“ Und: „Willie Nelson ist gut. Oder Kris Kristofferson.“

Nun, bei Suppe und Cola und Kaffee finde ich einen Seelenverwandten, der jenen Johnny Cash mag, „als der Kerl mit der American-Recordings-Reihe anfing.“
„Warst du mal auf einem Cash-Konzert?“
„Leider nicht, für meine damaligen Verhältnisse zu teuer.“

Ich versuche, den Typen und Menschen Boris Gott einzuordnen, womöglich geht es so wenig wie bei Johnny Cash oder Bukowski, denn die haben immer intensiv gelebt, natürlich schwer getrunken, viel oder gar nichts gegessen, Tage verschlafen oder Nächte durchwacht, wenig oder viel gearbeitet, aber ihr künstlerisches Vermächtnis entstand durch die Eigenschaft, Dinge beim Namen zu nennen ohne in Panik zu verfallen oder depressiv zu werden. Boris Gott ist gerade erst auf dem Sprung, der 35-jährige ist von Ehrgeiz geschlagen, talentiert, womit die Hälfte der Voraussetzungen geschaffen wären.

Ja, die Reaktionen seien bislang viel versprechend, „ich mach‘ ganz gute Mucke“, und schon Sasha und Cosmo Klein haben es von Dortmund über die NRW-Landesgrenze hinaus geschafft, bzw. der eine international und der andere ist gerade auf dem Weg, aber jeder Erfolg, das weiß er, verlangt irgendwann Kompromisse.

Wenn der Kaffee ausgetrunken ist, wird es Zeit zu gehen. Wir schlendern zu meinem Auto, dann steigt Boris Gott aufs Fahrrad, winkt. Die Nordstadt verschluckt ihn noch vor der ersten Biegung. Immerhin regnet es nicht mehr.
Morgen verlass ich die Stadt/ Es wird langsam hell, doch der Rest dieser Nacht/ Reicht noch für einen Traum/ Sieben Berge aus Schaum/ Dahinter mein Märchenpalast.

Boris Gott: Bukowski-Land

1. Engel
2. Acapulco
3. Borderliner-Blues
4. Bukowski-Land
5. Rapunzel
6. Lebend kommt hier niemand raus
7. Rosamunde Pilcher
8. RTL&Rohypnol
9. IKEA-Bällebad
10. Mädel of my dreams
11. Radiogesicht
12. Das Model
13. Rockstar in Aserbaidschan

Langstrumpf Records, 2007

(Hartmuth Malorny)
Fotos: Andreas Schmidt-Wiethoff

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