Campusfest Essen 2004

Machen wir’s kurz: Gute Bands, Scheiß-Wetter, Scheiß-Publikum. Stop! Das wäre jetzt sehr polemisch, oder? Also machen wir es etwas länger.

Das Line-up versprach mal wieder einen hochklassigen Abend. Line-up muss man übrigens jetzt sagen, weil das einfach cooler klingt als „Programm“. Nur Idioten sagen noch Programm, schließlich sind wir ordentlich amerikanisiert worden. Vergesst also „Programm“!

Spürt ihr meine Aggressivität? Irgendetwas hat sich aufgestaut gestern
Abend. Und das muss raus. Das – Achtung! – Line-up kann aber nix dafür:
Leider musste ich als bereits arbeitender und nicht mehr studentisch herumlungernder
Mensch auf die ersten Bands, die Bochumer Punker „Phoney14“ und die
Elektro-Popper „Klee“, verzichten. Ich stieg also erst gegen Ende
des Konzerts von „The Robocop Kraus“ ein und konnte immerhin einige
der druckvollen Songs der Tondichter aus Nürnberg genießen. Sie
hatten es durchaus schon schwer, weil das Wetter irgendwie nicht die rechte
Open-Air-Stimmung aufkommen ließ. Die dann aufspielenden Rock’n’Roller
von „Tigerbeat“ hatten aber die berühmte Arschkarte gezogen.
Es macht keinen großen Spaß, gegen ein geschlossenes Dach aufgespannter
Regenschirme anzuspielen oder ständig weinerliches Volk zwischen Überdachung
und offener Air hin und her hecheln zu sehen. Trotzdem spielten sie ein ordentliches
Set, vielleicht etwas zu sehr angereichert mit gängigen Rock’n’Roll-Klischees
und postmoderner Poserei. Bei gutem Wetter hätte das ein feister Tanz
werden können. Gestern sparten sie sich eine Zugabe.

In den Pausen mühte sich Mambo-Kurt redlich, die Stimmung zu heben und
schreckte auch vor einer Heimorgel-Nummer eines Slayer-Klassikers nicht zurück.
Bei dem ein oder anderen Zuschauer huschte ein Lächeln über die Lippen.
Vielleicht auch, weil das Wetter jetzt besser wurde. Es blieb zwar kalt, aber
der Himmel riss auf und erbleute (bitte französisch aussprechen).

Jetzt, dachte ich, muss doch mal die Post abgehen und auch mal gepoged werden
– nicht nur gequatscht, denn es herrschte ein ungeheurer Palaverlevel, selbst
in den vordersten Reihen. Man wurde das Gefühl nicht los, das manche nicht
wegen der Musik, sondern wegen des Hip-Faktors dieser Veranstaltung gekommen
waren. Denn das Essener Campusfest hat sich einen verdammt guten Namen erarbeitet.
Und immerhin standen „Mother Tongue“ vor der Tür, in ganzer
Pracht und halbnackt. Gitarrist Christian Leibfried sah aus wie immer: Als
käme er geradewegs aus dem Casting für den „Planet der Affen“,
Bassist und Sänger David Gould übte sich für den Chili-Peppers-Lokalike-Wettbewerb.

Dort stand also das musikalische Herz LAs auf der Bühne und changierte
zwischen Grellrot und aggressivem Rock’n’Funk und Wiesengrün und sanftem
Psychedelic. Das ganze dynamische Spektrum, zu dem diese Band fähig ist,
lief wie ein pralles Leben in den letzten Minuten vor deinem Abgang noch einmal
vor dir ab. Das war cool und wurde eben in typisch amerikanischer Lässigkeit
vorgetragen. Es fehlte auch nicht an den üblichen Bush-kritischen Worten,
die mittlerweile bei Amibands auf Europatour zum guten Ton gehören. Langsam
nervt es allerdings: Das hättet ihr euch vielleicht mal vorher überlegen
sollen, ihr Scheiß-Imperialisten! Und sorgt endlich dafür, dass
dieser Arsch im Orkus der Geschichte verschwindet! Uuups: Entschuldigt bitte
den Ausfall. Natürlich sind nicht alle Amerikaner Imperialisten. Ähem…

Zurück zur Stimmung: Es gab einige, die in den ersten Reihen die Ärmchen
in die Luft warfen und den Rasen traktierten. Aber irgendwie zündete es
noch nicht. Mir schwante schon nichts Gutes, weil Blumfeld trotz aller Klasse
nicht unbedingt die Band sind, die mit Humtata und Klatschmichtot eine Menge
aufkochen. Aber: Anfang des Jahres hatte ich Blumfeld im Bahnhof Langendreer
gesehen, in einem geilen Konzert und vor einem feinfühligen Publikum,
das zuhörte, wenn es etwas zuzuhören gab, und feierte, wenn es Zeit
war zu feiern. Blumfeld-Frontmännchen Distelmeyer war damals begeistert.
Und ich glaube, er meinte es Ernst.

Nach einigen Aussteuerungsproblemen lief Blumfelds Melodienmotor warm. Distelmeyers
Timbre ist immer noch ein Wunderwerk der Natur. Der Typ kann einfach geil singen.
Und was er singt, sollte man sich anhören. Ich erspare mir jetzt Details.
So sehe ich das einfach und viele andere auch. Man muss auch nicht in Ekstase
verfallen, wenn Blumfeld sich musikalisch mühen, aber – hey Leute – was
dann ablief auf dem Campus in Essen, war wirklich ein Armutszeugnis für
eine ganze Generation.

Null. Null. Nichts. Vielleicht mal ein artiger Applaus. Schlimmer noch: Ich
weiß ja nicht, wie es sonst so auf dem Gelände war, aber um mich
herum wurde gequatscht, geschwätzt, geplaudert. Der Typ neben mir erzählte,
dass er seiner Mutter morgen noch Blumen kaufen muss. Ein anderer plapperte
seiner Tütentussi ins beringte Hängeohr. Ich stand nicht weit weg
von der Bühne und wagte es, mich zu einigen Liedern zu bewegen, einfach
nur ein Hüftschwung. Aber ich fühlte mich elend dabei. Wie ein Alien
unter Ärschen. Rechts hinter mir grölte einer, man solle das Weichei
von der Bühne holen. Hä? Wo war ich hier gelandet? Auf dem Schützenfest
in Breckerfeld? In der Schalke Arena? Beim DGB? Scheiße. Was war hier
los?

Vielleicht bin ja auch alt geworden. Sagt ihr es mir: Wenn ich zu einem Konzert
gehe, will ich doch Musik hören, oder? Dann höre ich auch zu. Und
wenn ich quatschen will, verpisse ich mich nach hinten. Und wenn mir die Musik
nicht gefällt, verpisse ich mich ganz. Trübsinnige Gedanken geisterten
durch mein Hirn. Sah so Deutschlands Zukunft aus? Studenten, die ihre Intellektualität
schon aus dem schlichten Besuch eines anerkannten Bohemian-Events ableiteten,
nicht mehr aus dessen Verstehen. Studenten, denen es eigentlich scheißegal
ist, was sie hören. Hauptsache es hat einen guten Namen und man war hip
genug, um dabei gewesen zu sein. Und ich rede jetzt nicht nur von Bauingenieuren
und Maschinenbauern.

Distelmeyer bemühte sich, etwas Aufruhr in die Menge zu bringen. Was
ihm in Bochum schon nach wenigen Minuten gelungen war, wirkte hier eher hilflos.
Schließlich beschränkte er sich auf ein wiederholtes „Zu freundlich
von euch“. Was genau so klang, wie es gemeint war: „Was seid ihr
für ein scheißlahmer Haufen!“ Nach einer Stunde stürmte
er von der Bühne, weil er anscheinend keinen Bock mehr hatte. Seine Mannen
folgten ihm. In Bochum hatte das Konzert über zwei Stunden gedauert. Immerhin:
Den wackersten Blumfeld-Fans gelang es, so etwas wie ein Begeisterung zu offenbaren.
Eine erste Zugabe: „Verstärker“. Wie sinnig. Blumfeld haben
Humor. Dann wieder Ende. Das Geplärre vom Band geht an. Armseliges Publikum,
denke ich und geh traurig in Richtung Ausgang. Plötzlich höre ich
von hinten noch einmal Jubel. Sie sind doch noch einmal zurückgekommen.
An den ersten Tönen erkenne ich „Die Welt ist schön“. Für
mich nicht mehr. Nicht mehr seit diesem Abend.

Woran hat es gelegen? An der Musik wohl kaum. Nur am Wetter? Ich weiß nicht.
In meinen schlimmsten Träumen sehe ich pseudointellektuelle Arschgeigen,
die Musik konsumieren wie sie RTL gucken, geistesabwesend, verdumpft, leer.
Die Diktatur der Angepassten. Ein Albtraum. Vielleicht war ich aber auch einfach
nur schlecht drauf. Warten wir mal ab.

-MatsB-

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