Roger Willemsen: „Deutschlandreise“

Willemsen hält Deutschland den Spiegel vor, und was er sieht ist meistens unschön.

Auf seiner Recherche-Reise quer durch die Republik ist er auf der Suche nach Normalität und findet hauptsächlich groteskes, was als solches nicht auf den ersten Blick auffällt, da es dem Leser bekannt vorkommt, ja sogar vertraut wirkt: Die Weisheiten eines Taxifahrers, die Balkon-Kultur eines zehnstöckigen Hochhauses oder die Freizeit-Uniformen der Jogger und Inline-Skater, diese und andere ausschnitthaften Beobachtungen, die sich zu einem gesamten Deutschlandbild zusammenfügen, werden bei genauerem Hinschauen nur noch skurriler, eben weil sie so bekannt sind.
Die Frage nach der Herkunft dieser lebenden Klischees (waren sie immer schon da und es wurde über sie so oft berichtet, dass sie zum Klischee wurden, oder sind sie da, weil Berichte über sie die Klischees zum Archetyp gemacht haben?) bleibt unbeantwortet.

Aber nicht nur die Menschen, auch die Orte beschreiben die deutsche Kultur, die durch die Dimension der jüngeren Geschichte die Probleme der längst nicht verarbeiteten Wiedervereinigung und der mangelnden Integration von Ausländern aufzeigt. Genauso wird auch die Differenziertheit des Bürgertums in Klein- und Bildungsbürger thematisiert, und das dies wahrlich kein neues Phänomen ist, kann in Goethes ‚Faust I‘ (1806) nachgelesen werden.

Ein extrem empfehlendswertes Buch, flüssig geschrieben, in einer enttarnend ehrlichen Sprache. Weniger sollte von einem Dozenten für Literaturwissenschaft aber auch nicht erwartet werden.

Roger Willemsen: Deutschlandreise

200 Seiten
im Eichbornverlag erschienen
17,90€

(mrc)

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