Alles was wir geben mussten; Copyright: btb Verlag

Roman-Rezension „Alles, was wir geben mussten“ – Kazuo Ishiguro

Seit dem 14. April ist die Verfilmung von Kazuo Ishiguros Romanerfolg „Alles, was wir geben mussten“ in den Kinos zu sehen. Die Literaturvorlage aus dem Jahr 2005 hat bereits kurz nach Erscheinen für viel Aufsehen gesorgt und ist jetzt vom btb-Verlag erneut aufgelegt worden – mit dem Filmposter als Buchcover.

[ruhr-guide] Kathy, Ruth und Tommy wachsen gemeinsam im Internat Hailsham auf, wo sie von sogenannten Aufsehern erzogen und unterrichtet werden. Alle Kinder dieser Erziehungsanstalt sind elternlos, etwas ganz besonderes und zu einem ganz bestimmten Zweck auf der Welt. Dies wird ihnen von den Obrigkeiten stets eingeimpft. Erst im Laufe der Jahre beginne sich die die drei Freunde, mit ihrem Schicksal auseinanderzusetzen und verstehen ansatzweise, was es mit ihrem Lebensinhalt, dem „Spenden“ und „Vollenden“, auf sich hat. Als junge Erwachsene verlassen sie das Internat, leben jedoch weiter zusammen bis sie die unausweichliche Vorsehung einholt.

Fesselnde Geschichte mit punktgenauem Realitätsbezug

Kazuo Ishiguro wird als einer der wichtigsten britischen Schriftsteller der Gegenwart gehandelt. Der Preisträger des Booker Prize – der bedeutendsten Literaturauszeichnung Großbritanniens – hat bereits mit „Was vom Alles was wir geben mussten; Copyright: btb VerlagTage übrig blieb“ und seinem Debüt „Damals in Nagasaki“ enorme Aufmerksamkeit bei Kritik und Publikum erregt. Die 352 Seiten umfassende Geschichte wird als Ich-Erzählung aus der Perspektive von Hauptfigur Kathy H. geschildert. Eine Erzähltechnik, die bei „Alles, was wir geben mussten“ – oder im Original „Never let me go“ – hervorragend funktioniert, da der Leser von Beginn an eine enge Bindung zu der Protagonistin und den weiteren Figuren knüpft, und auf diese Weise emotional beteiligt wird. Beachtenswert sind die ruhigen Töne, die das unaufgeregte Erzählen bestimmen. Wo andere aufbrausen, bleibt Ishiguro ruhig und besonnen. Diese überlegte Sorgfalt ist die Grundlage der Verknüpfung von Leser und Charakteren. Es geht Ishiguro stets um Menschen – und so rücken auch diesmal drei Figuren in den Fokus seiner Geschichte, die eine ganz besondere Rolle in der menschlichen Gesellschaft einer Zukunft haben, die bereits in der Vergangenheit liegt. Die Geschichte spielt im England der 60er/70er Jahre, jedoch ist die Wissenschaft bereits weit fortgeschritten. Eine Entwicklung, die besonderen Einfluss auf das Leben bestimmter Gesellschaftsteile hat.

Wozu sind wir auf der Welt?

Ihiguro enthüllt das eigentliche Thema (welches an dieser Stelle bewusst ungenannt bleibt) nur langsam, Schritt für Schritt. Geschickt pflegt er dieses zerteilte Freigeben der Informationen in die Geschichte ein, welche mit den Jugendtagen der Protagonisten Kathy, Ruth und Tommy beginnt. Die drei wachsen mit vielen anderen elternlosen Kindern in einer Art Internat auf, Hailsham genannt. Kathy erzählt aus ihrer Kindheit, den Gegebenheiten vor Ort, der Erziehung sowie der daraus resultierenden Auffassung der Welt. Die bereits zu diesem frühen Zeitpunkt existierende Verbindung zu den beiden anderen wird sich durch das gesamte Werk ziehen und als wichtiges dramaturgisches Element aufgebaut. Doch „Alles, was wir geben mussten“ handelt von viel mehr als nur der emotional aufwühlenden Beziehung der drei Figuren, die sich im Laufe des Bandes mehrmals verändern wird. In Abständen streut der Autor wichtige Hinweise auf den Sinn der Einrichtung ein, mit denen der Kopf des Lesers anfängt zu arbeiten. Mit dem Lauf der Zeit und dem Heranwachsen der Kinder wird immer deutlicher, dass ein übergeordneter Sinn ihrer Existenz zugrunde liegt. Irgendwas passiert im Hintergrund – „da draußen“. Dies bleibt jedoch lange im Verborgenen, so dass weder Kathy, noch der Leser genau erfährt, worum es schlussendlich geht.

Der unausweichliche Schock

Die Geschichte überspannt viele Jahre und spitzt sich schließlich zu, als Kathy, Ruth und Tommy erwachsen werden, Hailsham verlassen und weitere Stationen durchlaufen – nach einem vorgefertigten Plan. Über allem schwebt eine ungewisse Zukunft. Was hat es mit den Berichten auf sich, die bezüglich ihrer späteren Aufgaben immer wieder aufkommen? Kazuo Ishiguro verweigert dem Leser eine zügige Auflösung, wie auch seinen Hauptfiguren – dramaturgisch ein wahrer Kunstgriff. So paaren sich „ComingofAge“-Elemente, eine Art Lovestory sowie das große, alles überschattende Drama der Figuren zu einem stimmigen Ganzen, bei dem vor allem die Charaktere und deren Emotionen im Bezug auf ihre Vorsehung große Wichtigkeit haben. Der Leser kommt ihnen nah, nimmt selbst aktiv an ihrem Schicksal teil. Das gewaltige Drama zeichnet sich von Beginn an ab, trifft einen letztendlich dann doch wie ein Schlag. Genau diese Verschachtelung ist es, die „Alles, was wir geben mussten“ sehr eindrucksstark werden lässt.

Copyright: btb Verlag

(mo)

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