"Carlos - Der Schakal - Directors Cut"; Copyright: "NFP marketing & distribution"

DVD-Rezension „Carlos – Der Schakal“

Das Filmfestival von Cannes erweist sich jedes Jahr als Highlight im Terminkalender eines jeden Cineasten. Wo vor kurzem die diesjährige Ausgabe überschattet vom Lars von Trier-Skandal zu Ende ging (der Regisseur wurde aufgrund NS-zugeneigter Aussagen vom Festival ausgeschlossen), wurde das Mammutwerk „Carlos – Der Schakal“ im letzten Jahr inoffiziell als bester Beitrag gehandelt. Da ausserhalb des Wettbewerbs gezeigt, konnte Oliver Assayas‘ Biopic über den venezolanischen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez – der weithin als Carlos – Der Schakal bekannt ist – keine Auszeichnung gewinnen, galt aber unter Fachleuten zurecht als absoluter Hit. Der von mehreren europäischen Länder co-produzierte Streifen liegt nun in seiner Kinofassung aber auch als deutlich längerer Director’s Cut auf DVD und Blu-ray vor.

[ruhr-guide] „Carlos“ beweist, dass sein Ruf, der von der Côte d’Azur in die Welt hinausgetragen wurde, keinesfalls "Carlos - Der Schakal - Directors Cut"; Copyright: "NFP marketing & distribution"übertrieben ist: In epischen 330 Filmminuten erzählt der Director’s Cut die Geschichte des militanten Terroristen, der einen rasanten Aufstieg erlebt und ebenso tief fällt. Der Film seziert die Ziele des Terroristen, seine ideologischen Vorstellung sowie die variierenden Motive, die ihn zu seinen Gräueltaten ermutigten. Ebenso zeigt das Biopic die Verflechtungen zwischen Terror, Politik und Gesellschaft, die in einer Zeit des Umbruchs weitreichende Konsequenzen zur Folge hatten. Jegliche Akteure werden beleuchtet, das Werk zeigt alle Puzzlestücke und offenbart ihre Zusammensetzung. Mit einem multinationalen Ensemble zur Verfügung, erweist sich der französische Regisseur Oliver Assayas („Ende August, Anfang September“) als Könner seines Fachs, der es vorzüglich versteht, die Facetten seiner Figuren und deren Motivationen – allen voran Édgar Ramírez („8 Blickwinkel“, „Che“) als Carlos – ausführlich und verständlich zu beleuchten. Der Film lebt von den überzeugenden Darstellern, seinem fesselnden Konzept und einer handwerklich ausgereiften Umsetzung seitens des Regisseurs. Vor allem der Director’s Cut behandelt eine ganze Menge inhaltlicher Bausteine, um im Resultat ein umfangreiches Bild anzubieten.

Bewegte Zeit

Die 70er Jahre waren nicht nur in Deutschland eine bewegte Zeit. Das Attentat auf die israelischen Athleten

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bei den Olympischen Spielen in München, die Studentenunruhen und der RAF-Terror sind nur Anhaltspunkte die verdeutlichen, von welchen Vorfällen alleine die Bundesrepublik in dieser Dekade geprägt wurde. Weltweit war es nicht viel ruhiger. Der Kalte Krieg im vollen Gange, die Konflikte zwischen West und Ost offensichtlicher denn je. Genügend Nährboden für die verschiedensten Terror-Gruppierungen, die überall aus dem Boden sprießten. Zu den Top-Attentätern entwickelte sich der Venezolaner Ilich Ramírez Sánchez, der unter anderem beim Überfall auf das OPEC-Hauptquartier in Wien im Dezember 1975 und der anschließenden Geiselnahme beteiligt war. Als Carlos – Der Schakal ging Sánchez in die Geschichte ein, seine Geschichte ist es, die jetzt auf dem deutschen Heimkinomarkt in zwei verschiedenen Versionen sein Publikum sucht.

Lang- und Kurzfassung

„Carlos – Der Schakal“-Käufer können sich auf ein umfangreiches DVD- bzw. Blu-ray-Paket freuen: Das Epos erscheint
"Carlos - Der Schakal"; Copyright: "NFP marketing & distribution" als Drei- bzw. Vier-Disc-Sonderedition (4 DVDs oder 3 Blu-ray-Discs), die neben der 180-minütigen regulären Kinofassung ebenfalls den ausführlicheren Director’s Cut beinhaltet. Letzterer erzählt Carlos‘ Geschichte über die Länge von 330 Minuten! Dafür benötigt der Zuschauer Sitzfleisch, kann sich jedoch auf ein detailreiches, vielseitiges und vor allem spannendes Filmerlebnis freuen – und wenn doch mal die Zeit knapp wird, befindet sich zusätzlich die kürzere Kinoversion im Package. Wer mit der Kinofassung zufrieden ist, kann die parallel zum Director’s Cut erscheinende Single-DIsc DVD wählen. Hier muss jedoch auf diverse Interviews mit Regisseur Oliver Assayas sowie den Hauptdarstellern und einige Spots verzichtet werden, welche den Director’s Cut begleiten. Die diesem Text zugrunde liegende DVD-Version kann qualitativ überzeugen: Bildschärfe und Kontraste zeigen sich auf guten Niveau, die digitale Aufarbeitung hat zu einem ansehnlichen Ergebnis geführt. Stilistisch hat Assaysas seine Bilder durch Filter aufbereitet, so dass der „Carlos“-Look durch reduzierte Licht- und Farbtöne auf die 70er Jahre verweist. Auch der Ton weiss zu überzeugen: Alle Dialoge der deutschen Sprachfassung (Dolby Digital 5.1) sind jederzeit gut verständlich, die Audiokulisse im Allgemeinen erweist sich als stimmig auf die vorhandenen Kanäle verteilt. Das authentischste Filmerlebnis bietet jedoch nur die Originaltonspur, welche alle ursprünglich gesprochenen Sprachen beinhaltet. Es wird englisch, deutsch, französisch, spanisch und arabisch gesprochen, was den Figuren eine noch größere Glaubwürdigkeit verleiht – für den Zuschauer ohne entsprechende Kenntnisse ist dies kein Problem: Alle nicht deutsch-gesprochenen Passagen sind deutsch Untertitelt.

Zeitgeschichte

Die französisch-deutsche Koproduktion wurde zu großen Teilen in Sachsen-Anhalt gedreht, entführt den Zuschauer jedoch"Carlos - Der Schakal"; Copyright: "NFP marketing & distribution" auch an exotische Orte wie dem Libanon, Jemen und der Sudan. Weitere Drehorte waren Berlin, Budapest und London. Damit folgt das Werk den Spuren des damaligen Terrors, der gleichsam global verteilt organisiert und verortet war. „Carlos – Der Schakal“ zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sich nicht als reines Biopic versteht und ausschließlich seine Hauptfigur fokussiert, sondern durch zahlreiche Seitenblicke Carlos‘ Komplizen, Auftraggeber und weitere wichtige Figuren und deren politische und/oder gesellschaftliche Relevanz einbezieht.

Des Weiteren gelingt dem Filmteam ein punktgenaues Portrait der Zeit: Die politischen Entwicklungen, Spannungen zwischen Ost und West, wie auch gesellschaftliche Tendenzen einer Welt im Umbruch, sind griffig und nachvollziehbar herausgearbeitet worden. Nur so ist sichergestellt, dass auch Zuschauer jüngeren Alters, die Vorkommnisse richtig einordnen können. „Carlos – Der Schakal“ ist bildet damit auch ein Stück jüngerer Geschichte ab und bietet eine ganze Menge Zeitgeist einer unruhigen Ära. Vor allem Zuschauer, die Interesse an Filmen, die historische Bezüge verarbeiten (z.B. „Der Baader-Meinhof-Komplex“ oder der TV-Thriller „Mogadischu“) haben, sollten sich „Carlos“ nicht entgehen lassen. Hochinteressant und dramaturgisch dicht konzipiert und ansprechend umgesetzt, erweist sich die Sichtung gleichermaßen als unterhaltsam, spannend, lehrreich und bereichernd.

Copyright: „NFP marketing & distribution“

(mo)

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