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SG Wattenscheid 09: Auf einmal war Bochum Schwarz-Weiß

Anfang der Neunziger war der VfL Bochum plötzlich nicht mehr die Nummer Eins in der Stadt. Der kleine Bruder aus dem Lohrheidestadion, die SG Wattenscheid 09, stahl dem VfL die Show. Während sich Blau-Weiß in der zweiten Bundesliga abmühte, sorgte Schwarz-Weiß in der ersten Liga für eine Überraschung nach der anderen. Eine Erfolgsgeschichte mit System.

[wmp] Am 1. Juni 1991 um Punkt 17:15 Uhr warDer Vater des Watttenscheider Aufstiegs in die 1. Bundesliga: " title= die SG Wattenscheid 09 endgültig am Höhepunkt ihrer Vereinsgeschichte angelangt. Gerade erst hatte der kleine Bochumer Vorstadtklub in seiner ersten Bundesliga-Saison den Klassenerhalt gesichert, als Meisterkandidat FC Bayern München im Lohrheidestadion auflief – und sensationell mit 2:3 baden ging. Mit seinem Kopfballtor in der Schlussminute sicherte sich Mittelfeldmotor Thorsten Fink einen Eintrag in sämtlichen Wattenscheider Geschichtsbüchern, ganz nebenbei vermasselte die SG 09 an jenem Tag den großen Bayern die Meisterschaft.

Wattenscheid in Liga 1 – „Sensationell!“

Vier Jahre lang schrieb die Sportgemeinschaft Wattenscheid 1909 ihr ganz privates Märchen. „Es ist eine Sensation, dass es dieser Verein geschafft hat, so lange in der ersten Fußball-Bundesliga zu spielen“, urteilt Fußballhistoriker Ralf Piorr. In der Saison 1993/94 trat die Mannschaft sogar vollends aus dem Schatten des Lokalrivalen VfL Bochum. Nach dessen Abstieg in die zweite Liga hielt Wattenscheid erstmals als einziges Bochumer Bundesliga-Team die Stadtfahnen hoch. Es blieb die einzige Saison. 1994 war für Wattenscheid Schluss in der Bel Etage des deutschen Fußballs – bis heute.

Schulleiter verbot „ungehöriges Treiben“

Gymnasiasten gründeten 1906 mit „Germania 06“ den ersten Fußballklub der einst eigenständigen Stadt – sehr zum Ärger des Schulleiters Professor Hellinghaus. Er verbot das „ungehörige Treiben“ seiner Schüler, nach nur einem Jahr wurde der Verein wieder aufgelöst. Was nichts an der Begeisterung der Wattenscheider für das runde Leder änderte. Drei Jahre später waren es zwei Lehrer, die 20 Fußballinteressierte ins Hotel Kaiserhof einluden – die Geburtsstunde des „Ballspielvereins 09 Wattenscheid“. Die Vereinsfarben Schwarz-Weiß haben bis heute Bestand.

Während der Nazi-Diktatur fiel der Wattenscheider Fußball der Gleichschaltung zum Opfer. Sie war der Grund für die Fusion des Ballspielvereins mit der SG 1930, einem Sportverein der Wattenscheider Zeche Centrum-Morgensonne, zur „Sportgemeinschaft 09/30 Wattenscheid“. Damals erlebte die SG Wattenscheid ihre ersten großen Jahre: Dem Aufstieg 1935 in die zweithöchste Liga folgte 1938 die Meisterschaft.

Steiler Aufstieg dank Steilmann

Nach dem Krieg fand sich der Verein fast zwei Jahrzehnte lang in den Niederungen der Amateurligen wieder. Den Aufschwung schaffte Wattenscheid dank eines jungen Kaufmanns. Sein Name: Klaus Steilmann. Mit acht Nähmaschinen hatte Steilmann 1958 seine Bekleidungsfirma gegründet, Mitte der Sechziger stieg der Mäzen beim Sportverein ein. Fortan bot er nicht nur vielen Spielern Beschäftigung in seiner Firma, sondern pumpte auch viel Geld in den Verein und wuchs zu dessen Identifikationsfigur: „Der Erfolg der SG Wattenscheid 09 ist untrennbar mit Klaus Steilmann verbunden“, so Piorr.

Mit dem Engagement Steilmanns, der später auch Vorsitzender des Klubs wurde, kam auch der Erfolg. Ende der Sechziger machte der Verbandsligist gleich zweimal auf sich aufmerksam: Im November 1968 schlug er den amtierenden deutschen Meister 1.FC Nürnberg in einem Freundschaftsspiel mit 3:1, im Sommer 1969 schaffte die Mannschaft als Meister den Aufstieg in die Regionalliga, die damals zweithöchste deutsche Spielklasse.

Große Namen, große Ambitionen

Anfang der Siebziger rüstete sich der Klub für den Aufstieg in die 1. Fußball-Bundesliga: Spieler wie der iranische Generalssohn Riza Adelkhani, Hannes Bongartz und Jürgen Jendrossek, der erste Wattenscheider Vollprofi, ließen von Höherem träumen. Beinahe wurde der Traum 1974 Wirklichkeit. In diesem Jahr wurde Wattenscheid Westfalenmeister und spielte in der Relegation um den Einzug in die höchste deutsche Liga. Der Aufsteiger in diesem Jahr hieß allerdings Braunschweig.

Die Helden von Wattenscheid

15 Jahre Zweitklassigkeit folgten, ehe Wattenscheid – mittlerweile ein Stadtteil von Bochum – endlich im Freudentaumel versank. Unter der Wattenscheider Trainerlegende Hannes Bongartz brachte die SG 09 am 10. Mai 1990 den lang ersehnten Bundesliga-Aufstieg unter Dach und Fach. Mit 5:1 wurde Hertha BSC Berlin, das schon als Aufsteiger feststand, wieder nach Hause geschickt. 7500 Zuschauer stürmten den Rasen im Lohrheidestadion. Doppeltorschütze Maurice Banach avancierte als Torschützenkönig zum Aufstiegshelden, mit Uwe Tschiskale belegte ein weiterer Wattenscheider Platz 2 der Torjägerliste. Sie und Torhüter Ralf Eilenberger hatten maßgeblichen Anteil am Aufstieg des Bundesliga-Nobodys. „Das Schlimmste, was der Liga passieren könnte“, hatte Bayern-Manager Uli Hoeneß zuvor geunkt. Schließlich waren die Zuschauerzahlen in Wattenscheid seit jeher überschaubar.

Zum Start sechs Spiele ohne Niederlage

Verstärkt mit den „schwarzen Perlen“ Souleyman Sané und Ali Ibrahim spielte sich die SG 09 in den ersten Begegnungen in einen wahren Rausch. Nach drei Begegnungen lag Wattenscheid ungeschlagen auf dem zweiten Tabellenplatz. So hoch sollte der Verein nie mehr kommen. Zwar schaffte er in der Vorrunde eine Serie von sechs Spielen ohne Niederlage, später gab es aber auch 16 Spiele hintereinander ohne Sieg. Dennoch glückte den Wattenscheidern das kaum für möglich Gehaltene – ein weiteres Jahr in der ersten Liga. Schon drei Spieltage vor Schluss, am 25. Mai 1991, sicherten sich die Lohrheider mit einem 2:0 über Fortuna Düsseldorf den Klassenverbleib.

Watschn für die großen Bayern

Eine Woche später sollte der Freudentaumel erst recht kein Ende nehmen. Kapitän Frank Hartmann, Uwe Neuhaus und Thorsten Fink machten sich mit Treffern gegen den vermeintlich übermächtigten FC Bayern München unsterblich, 35 000 Zuschauer bejubelten im Ruhrstadion den 3:2-Sieg der Wattenscheider. Die Revanche für die 0:7-Blamage im Hinspiel war geglückt, Wattenscheid beendete seine erste Bundesliga-Saison als Elfter. „Entgegen den Erwartungen vieler Kritiker hat sich meine Mannschaft behauptet und durch guten Fußball manchen Freund gewonnen“, kommentierte Mäzen Steilmann.

Heute in der Bedeutungslosigkeit

Zwei weitere Jahre konnte sich die SG 09 mit Trainer Bongartz und der hochkarätigen Neuverpflichtung Markus Schupp in der 1. Bundesliga halten. 1994 war das Märchen dann vorbei. Wattenscheid stieg aus der 1. Liga ab. Bis heute gab es keine Rückkehr. Mit Steilmanns Rückzug endete die Erfolgsgeschichte. Seit dem Zweitligaabstieg 1999 war kein Profifußball mehr in der Lohrheide zu sehen, zwischenzeitlicher Tiefpunkt war 2004 der Abstieg in die vierthöchste Spielklasse, die Oberliga Westfalen. Heute kämpft die SG Wattenscheid 09 in der Regionalliga Nord gegen den Abstieg – und verzweifelt darum, eines Tages womöglich wieder an alte Zeiten anzuknüpfen. Der Weg dorthin scheint unerreichbar weit.

(Norman Stahl, WM-Portal Dortmund)

Fotos Der Pott ist rundaus „Der Pott ist rund“. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Ralf Piorr. Lesen Sie zu diesem herausragenden Buch auch unsere Rezension zu Band 1 und Band 2.

Der Pott ist rund.
Das Lexikon des Revierfußballs
Band 1: Die Chronik 1945 bis 2005
Band 2: Die Vereine – 1945 bis 2005

Ralf Piorr (Hg.), Essen 2005 und 2006,
Klartext-Verlag, jeweils 29,95 Euro,
Band 1: ISBN 3-89861-358-5
Band 2: ISBN 3-89861-356-9

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