Goda Dailydaite

Portrait: Goda Dailydaite

Stell ja keine dummen Fragen, sagte ich mir, sonst wirst du mit einem Jab in die Schranken gewiesen. Aber das ist ein chauvinistisches Vorurteil, selbst im 21. Jahrhundert herrschen noch Ressentiments gegenüber scheinbarer Männerdomänen, ob auf beruflicher oder sportlicher Ebene. Goda Dailydaite hat uns eine ruhige Ecke im geschäftigen Verwaltungsgebäude von DSW21 reserviert, Kaffee und Kaltgetränke stehen zur Verfügung. Es ist der vermutlich letzte heiße Tag in diesem Jahr. Sie wirkt entspannt, gar nicht wie ein „eiskalter Diamant“, sie hat das lange blonde Haar hinten zusammengebunden und trägt ein dunkelgrünes T-Shirt mit der Aufschrift „Indiana”, darüber eine graue Weste. Touch gloves? Mitnichten.

[ruhr-guide] Der Faustkampf zum Zweck der Unterhaltung hat eine über 7000 Jahre alte Tradition. Goda DailydaiteBelegt ist auch, dass schon im 18. Jahrhundert Frauen boxten. Vor 45 Jahren schmiss mich mein Vater um drei Uhr morgens aus dem Bett, damit ich Muhammad Ali im Schwarz-Weiß-Fernseher tänzeln sehen konnte. Heute füllen die Klitschko-Brüder Fußballstadien und bescheren den Sendern sagenhafte Einschaltquoten. Das weibliche Geschlecht dagegen sieht man lieber mit einem Tennisschläger – oder einem Kochlöffel in der Hand. Herdprämie statt Handschuh.
Wüsste man nicht, was Goda Dailydaite außerhalb ihres Berufes so macht, würde man beim Anblick der hübschen schlanken Frau in den allgemeinen Trugschluss verfallen, dass sie nebenbei vielleicht modelt und höchstens, so stellt man sich vor, steht sie für eine gute Figur zwei Mal die Woche auf dem Laufband im Fitnesstudio. Ina Menzer ironisierte das Thema ziemlich treffend: „Boxerinnen haben riesenbreite Schultern, ein Veilchen ums Auge, eine gebrochene Nase und am besten noch einen Kurzhaarschnitt.”

Dabei schuftet Dailydaite in langen und schwitzigen Trainingseinheiten, um sich auf einen Kampf vorzubereiten, nicht minder schwer und hart wie die Männer, sie wuppt Gewichte, malträtiert Sandsäcke und ihre Sparringspartnerinnen – ohne Ehrgeiz läuft da gar nichts. Davon hat die 1985 in Litauen geborene Goda Dailydaite viel, sie brachte es bis zur Boxweltmeisterin bei den Verbänden WBF und WBCA im Feder- und Superfedergewicht. Ihre erst zwei Jahre dauernde Profikarriere liest sich wie der Fahrplan eines französischen Hochgeschwindigkeitszuges: acht Kämpfe, acht Siege. (Vergleiche mit der Deutschen Bahn sind nicht beabsichtigt, sie nimmt keine Bummelzüge.) Schon Regina Halmich machte 13 Jahre lang beim Frauenboxen Furore: 56 Kämpfe, 54 Siege, eine TKO-Niederlage, ein Unentschieden.

Gnadenlos in Gladbach

Bei ihrem letzten Fight gegen ihr sportliches Vorbild Ina Menzer musste sie einen Stop einlegen. Bereits in der dritten Runde ging sie zwei Mal zu Boden. „Wenn man nicht in den Kampf kommt, merkt man das sofort. Dann läuft es nicht”, sagt sie. DSW21 organisierte einen Fanbus, das Motto lautete „Gnadenlos in Gladbach”, und Eurosport übertrug live. Jene Taktik, die sich Trainer und Boxerin zurechtgelegt hatten, funktionierte nicht. „Eigentlich”, sagt Goda, „von der ersten Runde an.” Die restlichen sieben Runden im Hockeypark waren ein Kampf der anderen Art, eine besondere Erfahrung, denn nun ging es darum nicht vorzeitig zu verlieren. Körperliche Fitness, enormer Ehrgeiz, Unterstützung der Fans und die aufbauenden Worte von Trainer Thorsten Brück verhinderten ein Desaster, denn ein Knockout, bzw. ein technischer K.O., hätte das Abbild eines Desasters bedeutet. Beim Schlussgong der 10. Runde blieb „Enttäuschung pur und Ärger. Ich war sauer auf mich selbst.”

Ina Menzer krönte ihren Abschiedskampf. Ob mit Kalkül auf ein Comeback oder allgemein, sie meinte: Man sollte im Leben niemals nie sagen. Dailydaite ist da konsequenter: „Wenn man sich im Sport einmal entschieden hat, sollte man sich nicht umentscheiden. Ich würde es nicht machen.” Auch Ina Menzer musste eine Niederlage gegen Jeannine Garside/Kanada einstecken. Ob und wie es mit dem Boxen weitergeht, weiß Goda noch nicht, sie will nun „Emotionen runterfahren, alles sacken lassen und in Ruhe überlegen”, und zwei Wochen Urlaub auf Mallorca machen. „Nein”, widerspricht sie, „nicht Mallorca.” Und sie nennt eine Ortschaft auf dem Festland. O.K., also nicht Mallorca, wie kam ich bloß darauf – als wäre der Ballermann Synonym für Spanien?

Frauenboxen, die Schwangerschaft für Männer

Der kauzige Eurosport-Kommentator Werner Kastor, der gerne die Nummerngirls abschätzt, findet Frauen mit Boxhandschuhen nicht so „knackig”, dabei ist ihnen Fairness wichtig, sie hängen nicht stundenlang im Clinch und sind keine Sandsäcke im Vorwärtsgang. Und einige sehen zum Schluss besser aus als ihre männlichen Kollegen. Meistens. Frauen langen genauso hart zu, es ist halt diese subjektive Einstellung, sowie eine signifikante Fehleinschätzung und höchstens wohlwollendes Desinteresse, wenn Frauen in den Ring steigen.Goda Dailydaite brachte es bis zur Boxweltmeisterin bei den Verbänden WBF und WBCA im Feder- und Superfedergewicht
Erst seit 1995 dürfen Frauen Amateurwettkämpfe bestreiten, seit 2003 finden Deutsche Meisterschaften statt. Und seit 2012 boxen Frauen bei Olympischen Spielen. Das hat nicht ein Mann, sondern Ulrike Heitmüller erreicht. Damals klang es so, als hätte sie die Schwangerschaft für Männer gefordert. Bevor Dailydaite 2010 ins Profilager wechselte, bestritt sie über 60 Amateurkämpfe für ihren Dortmunder Heimatclub BSC 20/50 und sammelte Medaillen wie unsereins Kronkorken, und zwar als deutsche Hochschulmeisterin und deutsche Meisterin. Heute wird sie von Thorsten Brück gemanagt und fit gemacht, im Extremfall muss er 10 Sparringspartnerinnen auftreiben, die dann jeweils eine Runde gegen Goda durchhalten. „Du wirst kein Rennpferd, wenn du mit einem Esel trainierst.” Gleichwohl bemerkte er lapidar: „Boxen ist für sie nur ein Hobby.” Darauf angesprochen antwortet sie realistisch: „Einerseits Hobby, weil ich hier meinem Beruf nachgehe, aber Boxen ist mein Leben, meine Leidenschaft.”

Die sportlichen Gene hat sie von ihrer Mutter Alma Rüppel, Biochemikerin und erfolgreiche Turmspringerin. Was sie denn dazu sagt, das sich die Tochter ausgerechnet dem Boxsport widmet? „Sie hat mich immer unterstützt und stand hinter mir. Aber wie Mütter so sind”, lächelt Goda, „sie denkt an meine Zukunft, an die berufliche Karriere, sie wäre wohl froh, wenn ich jetzt aufhören würde.” Die Mutter jedenfalls konnte das Turmspringen nicht lassen: 2010 wurde sie Europameisterin in der Altersklasse 40-49. Tja.

Ein deplazierter Ringrichter

Die Dortmunder Westfalenhallen gehören zu den traditionsreichsten Veranstaltungsarenen Deutschlands, man erinnert sich an große Namen, z.B. Henry Maske: jener Prototyp des auf Technik ausgelegten Kämpfers, der ein neues Bild schuf, den Gentleman-Boxer. Neben der legendären Halle 1 umfasst der Komplex acht weitere Gebäude, und in Halle 3A stellte sich Goda Dailydaite vor fast einem Jahr Irma Balijagic Adler, um WIBF und WBC-Titel im Federgewicht zu verteidigen, und den WBF-Titel zu holen. Vom Gentleman entfernt war der Schauspieler Ralf Richter, halt ein Ruhrpottler, er moderierte den Abend in gewohnt flapsiger Art vor gut 850 Zuschauern. Godas Aufgabe war nicht leicht, die Atmosphäre hitzig. Selbst der Ringrichter deplazierte sich selbst, „er stand mir immer im Weg, er war zum falschen Moment da wo ich hin wollte, und dann bin ich ihm auf den Fuß getreten und er ging zu Boden.”
Nun, Goda gewann einstimmig nach Punkten, sie resümiert: „Eine unangenehme Boxerin, sie hat versucht mich festzuhalten, nach unten zu drücken, die Hand zu verbiegen. Die letzten Runden hätten ein Tacken besser sein können.”
Doch es gab andere Unstimmigkeiten, welchen Titel hatte Dailydaite eigentlich gewonnen? Denn statt der geforderten 57,15 kg brachten beide Boxerinnen fast 59 kg auf die Waage. Bei 14 Frauen-Weltverbänden kann man schon mal durcheinander kommen.

Der große Bruder DSW21

Aus den überschaubaren Dortmunder Stadtwerken, die vor wenigen Jahrzehnten nur ein defizitärer Betrieb des öffentlichen Personennahverkehrs waren, ist ein rentabler Konzern geworden, DSW und DEW fördern kulturelle, sportliche und soziale Projekte. Auch Goda Dailydaite profitierte von diesem Engagement; zur Vorbereitungsphase des letzten Kampfes wurde sie freigestellt.
Goda Dailydaite: Gnadenlos in Gladbach
Goda studierte eher nebenbei an der Uni Essen-Duisburg, sie belegte die Fächer Spanisch und Sport, und weil ihr das Boxen besser von der Hand ging, schmiss sie das Studium. Schon als Amateurin wurde sie von DSW21 wie von einem großen Bruder unterstützt, besonders finanziell, denn das Reisen zu Wettkämpfen um die halbe Welt kostete Geld. Als ihr der Dortmunder Konzern 2011 eine Ausbildungsstelle zur Industriekauffrau anbot, war es keiner Überlegung wert, sie sagte zu. Trotzdem lässt sie sich gerne auf den Konjunktiv ein: „Wenn sich im Frauenboxen die Gelegenheit geboten hätte Geld zu verdienen, hätte ich es gemacht, aber das Frauenboxen ist einfach nicht so etabliert, man kann davon nicht leben, es ist so, und man muss von irgendwas leben.” Stimmt, deshalb bildet sie sich zur Betriebswirtin weiter. Dieses Ziel wird sie im Mai 2014 erreicht haben. Hobbys? Fehlanzeige. Eine eigene Familie? „Wenn ich irgendwann mit dem Boxen aufhöre, werde ich mir dann Gedanken darüber machen.”

Das klingt nicht so, als hätte sie den Nagel bereits definitiv in die Wand geschlagen, an dem die Boxhandschuhe baumeln sollen. Ihr berufliches Wirkungsfeld ist ein Büro. Laptop, Telefon und Stift sind ihr Arbeitsgerät. Hier koordiniert sie das betriebliche Vorschlagswesen „Impulse” und bearbeitet die eingereichten Ideen für einen besseren Wettbewerb. „Büroarbeit halt”, sagt sie.
Ich zerrühre die letzten Zuckermoleküle im Kaffee und frage: „Wie lange wohnen Sie schon in Dortmund?”
„Zehn, nein, elf Jahre.” Lachen. „Nein, noch länger.” Ausgerechnet diese Frage bringt die versierte Frau ein bisschen in Verlegenheit. Normalerweise kommen ihre Antworten sicher und routiniert, hundertfach gestellte Fragen in dieser und ähnlicher Form. Im Alter von 12 Jahren kam sie nach Deutschland, mit 16 hat sie das Boxen angefangen, „weil der Stiefvater früher geboxt hat”. Zuerst war es ein Sport wie jeder andere, den man im Teenageralter probiert, dann wurde es zur Obsession: „Im Ring stehen ist wie eine Sucht.”

Die Fragen sind beantwortet, die Mittagspause ist rum. Hat mich sehr gefreut. Auch in diesem Sinne ein heißer Tag. Als wir uns zum Abschied die Hand reichen, ich Linkshänder, sie Linksauslegerin, weiß ich bereits mehr als sie: Egal, ob Goda Dailydaite nach dem Urlaub wieder im Ring steht, ihr Entschluss wird richtiger sein als alle Ratschläge.

– Hartmuth Malorny

Fotos: Christian Bohnenkamp
Plakat: Steffen Freund Promotion

Nach oben scrollen