Ruhrfestspiele feuern Castorf

Provinzposse in Recklinghausen: Nach Einbruch der Besucherzahlen setzt der Aufsichtsrat der Ruhrfestspiele Frank Castorf vor die Tür – Gerard Mortier trat aus Protest als Intendant zurück!

Nun ist es also amtlich: Recklinghausen erklärt sich selbst zum Provinzkaff! Nachdem die Besucherzahlen der Ruhrfestspiele unter dem neuen künstlerischen Leiter Frank Castorf um 26.000 Besucher zurückgegangen sind, wird dieser nun handstreichartig entlassen. Der Aufsichtsrat hatte in einer Nachtsitzung am Dienstag, dem 29.6, bei nur zwei Gegenstimmen die Trennung von Castorf beschlossen. Die Sitzung eine Woche zuvor, die den Rauswurf vorbereiten sollte, hatte schon zum Eklat geführt: die Einladungen wurden so kurzfristig versendet, dass weder der Intendant der Ruhrfestspiele Gerard Mortier noch NRW-Kultur-Minister Michael Vesper – beides Mitglieder des Aufsichtsrates – an der Sitzung teilnehmen konnten.

Aus Protest und Solidarität zu Castorf trat Mortier anschließend als Intendant der Ruhrfestspiele zurück, die er ehrenamtlich im „Nebenberuf“ betreute, wobei er bekanntermaßen im „Hauptberuf“ Intendant der Ruhrtriennale ist, während Frank Castorf auf seinen Wunsch hin die künstlerische Leitung der Ruhrfestspiele übernahm. Castorf war wegen seines Inszenierungsstils in die Kritik geraten. Waren im Jahr 2003 noch 48.000 Zuschauer zu den Ruhrfestspielen gekommen, kamen in diesem Jahr noch 22.000 Besucher – eine Auslastung von nur noch 34%.

Castorf hat nach Bekanntwerden der Kündigung seinen Anwalt eingeschaltet und will – verständlicherweise – das Feld nicht kampflos räumen. So mokiert er, dass im Kündigungsschreiben die wichtigen Gründe nicht weiter benannt werden. Obwohl er Fehler eingestanden hat und das Programm überdenken wollte, war der DGB nicht mehr gesprächsbereit.

Soweit die Fakten. Ein bedauerlicher Besucherrückgang, sicherlich. Aber Castorf hat einen Vertrag bis 2007 unterschrieben. Warum lässt man ihm nicht noch eine Chance? Dass so ein radikaler Wechsel in der künstlerischen Leitung zu einer Neuorientierung der Ruhrfestspiele führen sollte, hat man wohl beim DGB und im Rathaus in Recklinghausen vergessen. Dass der Wechsel vermutlich auch einige Zeit benötigt, bis sich die Besucher an die neue inhaltliche Ausrichtung gewöhnt haben, anscheinend auch. Auch die RuhrTriennale hatte bekanntermaßen mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen und sich erst im zweiten Jahr wirklich etabliert. Nicht zu vergessen, dass der DGB von Anfang an Frank Castorf Steine in den Weg gelegt und ein wesentlich geringes Kartenkontingent für seine Mitglieder reserviert hat.

Man fragt sich dann doch: Wieso holt man Castorf, dessen Stil als Intendant der Berliner Volksbühne doch wohl bekannt ist, nach Recklinghausen, wenn man eigentlich gar nicht Castorf will, warum propagiert man einen Neuanfang, wenn man so stockkonservativ ist? Viele der frischen Ideen, die Castorf eingebracht hat, wurden prinzipiell abgelehnt. Besucher, die nach den Vorstellungen im frisch renovierten Ruhrfestspielhaus übernachten können? Wo kommen wir denn dahin! Da wird ja alles schmutzig!

Die ganze Posse passt zu Recklinghausen. Was will man von einer konservativen Großstadt erwarten, die sich bis heute ihren dörflichen „Charme“ bewahrt hat. Kultur findet hier außer zu den Ruhrfestspielen eher nur in Nischen statt. Ein Nachtleben existiert kaum. Über viele Jahre – nach Schließung des legendären „Flexi“ durch die Stadt – gab es bis zu diesem Jahr noch nicht einmal eine Diskothek für die Jugend. Das „Brazil“, das tapfer gegen die Stadt mit seiner kleinen Tanzfläche ankämpfte, wurde ebenfalls dicht gemacht. Armes Recklinghausen!

Kennen Sie schon die Website von Recklinghausen? Nicht? Wenn Sie mal lachen wollen – bitte schön: www.recklinghausen.de. Seit Jahren wurde die Seite nicht mehr überarbeitet, jede Menge technischer Fehler und der Informationsgehalt lassen schwer zu Wünschen übrig. Mit E-Mails tut sich die Verwaltung noch schwerer. Viele Mails an die offizielle Stadtadresse wandern entweder direkt in den virtuellen Mülleimer oder werden zumindest weder beantwortet noch weitergeleitet.

Eine kleine Anekdote am Rande: Versuchen Sie niemals in Recklinghausen dem Bürgermeister direkt zu schreiben, wenn Sie trotz mehrfacher Versuche über die Stadtadresse keine Antwort bekommen. Dann kann es Ihnen nämlich passieren, das Sie vom Presseamt angerufen werden und mit der Frage konfrontiert werden: „Wie, bitte schön, kommen Sie einfach auf die Idee, sich an den Bürgermeister zu wenden?“ So ist es uns im letzten Jahr ergangen. Während die etwas verwirrt erscheinende Mitarbeiterin sehr viel von Gefühlen sprach – so hatte sie dieses Gefühl, in der damaligen Angelegenheit schon mehrmals mit uns telefoniert zu haben – und Telefonnotizen ablehnte, mit deren Hilfe sie sich hätte versichern können, dass sich ihr Gefühl täuschte, bestätigte der Amtsleiter kurz darauf, dass der Vorgang erst am selbigen Tag das Amt erreicht hatte. Dieser fand das unerträgliche Verhalten seiner Mitarbeiterin übrigens vollkommen in Ordnung und äußerte sich sinngemäß: „Was erwarten Sie denn? Wenn Sie sich an den Bürgermeister wenden, ist doch klar, dass die Verwaltung sauer reagiert!“

So stellt man sich in Recklinghausen halt Bürgernähe und besonders Öffentlichkeitsarbeit vor. Kultur und Kunst erschöpfen sich in Kulturbeuteln und Kunstlederjacken. Kein Wunder also, dass hier ein Frank Castorf nicht erwünscht war.

(pk)

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