Der Charme des Ruhrgebiets: Naturnah wohnen in der Industrieregion

Das Ruhrgebiet ist eine Millionenmetropole vor einer riesigen Industriekulisse: Wegen der vielen Betriebe der Schwerindustrie, der Kraftwerke und Zechen hat der Ballungsraum traditionell keinen guten Ruf, wenn von Lebensqualität die Rede ist. Aber besteht dieser Ruf zu Recht – oder besser gefragt: Stimmt das immer noch? Seit vielen Jahren wird mit großem Einsatz daran gearbeitet, die Region lebensfreundlicher zu machen.

Ruhrgebiet im Sonnenuntergang, stock.adobe.com @ luna1904 Immer mehr Menschen ziehen in Städte, wollen aber eine naturnahe Gestaltung nicht missen. Im Ruhrgebiet sind es rund 5,2 Millionen Menschen, die auf relativ engem Raum miteinander leben. Nirgendwo in Deutschland liegen die Städte so eng beisammen. Es waren die großen Steinkohlevorräte, die – angetrieben durch die industrielle Revolution – das Ruhrgebiet zu einer der bedeutendsten deutschen Standorte der Hüttenindustrie machten. Nirgendwo im Lande wurde so viel Kohle abgebaut und Stahl gekocht. Und nirgendwo gibt es so viel chemische Produktion wie zwischen Rhein und Ruhr. Obwohl viele Werke im Lauf der Jahre stillgelegt wurden, ragen vielerorts immer noch viele Fabrikschlote und Lastkräne in den Himmel und bestimmen das Stadtbild, wie in Duisburg zum Beispiel.

Grüne Städte werden für Deutsche immer wichtiger

Wer heute baut, ganz gleich ob Wohngebäude oder Nichtwohngebäude, muss besonders auf die Energieeffizienz achten. Dieser Grundsatz ist inzwischen in der Bevölkerung angekommen und die meisten Bauherren sind sich dessen vollkommen bewusst. Attraktive Förderkredite und Prämien, die bei der Einhaltung der rechtlichen Vorgaben und auch darüber hinaus helfen, ermöglichen eine bestmögliche Energieeffizienz. Um stärkere Anreize für Bauherren zu schaffen, werden die Prozesse immer wieder nachgebessert.

Auch bei der Gestaltung des Grundstücks und der direkten Umgebung entwickeln die Deutschen ein stärkeres Umweltbewusstsein. Wohnen in grüner Umgebung wird für Deutsche Städter immer wichtiger. Das zeigt auch eine Studie des Bundesamts für Naturschutz, nach der die Befragten angaben, dass eine naturnahe Gestaltung wie Parks und Grünstreifen, aber auch begrünte Fassaden möglichst in allen Stadtteilen zugänglich sein solle. Zahlreiche Renaturierungsmaßnahmen und grüne Projekte in den Städten tun ein Übriges, um das industrielle Erbe des Ruhrgebiets verschwinden zu lassen oder zumindest in die Landschaft zu integrieren.

Die Emscher zum Beispiel, die einst im Ruf als Deutschlands dreckigster Fluss stand, wird im Zuge des Strukturwandels im Ruhrgebiet seit rund 30 Jahren Stück für Stück renaturiert. Und das tat Not: Jahrzehntelang wurde der etwa 80 Kilometer lange Fluss als Abwasserkanal missbraucht. Mittlerweile hat sich dort wieder eine vielfältige Flora und Fauna an den Ufern angesiedelt – darunter sogar Eisvögel. Zu diesem Projekt gehört auch der Emscher Landschaftspark, bei dem vorhandene Grünzüge miteinander verknüpft werden sollen. Ein Ziel: Die Rückgewinnung von Freiräumen. Bislang wurde diese Strategie nur ansatzweise umgesetzt; mittlerweile existiert auch ein entsprechender Masterplan.

Die Emscher, stock.adobe.com @ hespasoft

Ehemalige Industrieflächen werden zu grünen Wohn- und Freizeitgebieten

Doch überall tut sich etwas: In den meisten Städten des Ruhrpotts verwandeln Investoren seit einigen Jahren ehemalige Industrieflächen in attraktive Wohngebiete mit viel Grün. Gleichzeitig gibt es in Duisburg viele Möglichkeiten, naturnah zu wohnen und die Freizeit im Grünen zu verbringen. Wer in der Nähe des Sportparks wohnt, lebt in unmittelbarer Nähe zur Sechs-Seen-Platte und dem Rheinpark. In Dortmund ist es der schnell erreichbare Westfalenpark, der ruhesuchende Besucher anzieht. Gelsenkirchen trumpft mit landschaftlich reizvollen Gebieten wie der Resser Mark auf – ein Wald- und Heidegebiet, das sich mit 180 Hektar über verschiedene Stadtteile ausdehnt. Unbestreitbar steht jedenfalls fest: Der Himmel über der Ruhr ist längst blauer, die Natur längst vielfältiger, grüner und erholter als es die immer noch beeindruckenden Schwarz-Weiß-Fotos aus einer Zeit vermuten lassen würden, als der Ruhrpott noch eine Art bewohntes Bergwerks- und Schwerindustriegebiet war, in dem es an allen Ecken und Enden zischte, dampfte, qualmte und lärmte und die Luft zum Schneiden dick war. Im Jahr 2017 war Essen die grüne Hauptstadt Europas. Spätestens seitdem ist auch den letzten klar, was sich zwischen Rhein und Ruhr alles geändert hat.

Artenvielfalt auf Zechengeländen

Die Einwohner der großen Ruhrgebietsstädte brauchen in aller Regel inzwischen nicht mehr lange für einen Ausflug ins Grüne. Landschaftsplaner sind mit der Schaffung naturnah gestalteter Lebensräume weit vorangekommen. Die Artenvielfalt bei Flora und Fauna selbst auf alten Zechengeländen, die zum Teil zum Unesco-Welterbe zählen, so berichten Zoologen und Botaniker, hat sich erholt. Auch in den Stadtlagen selbst gab und gibt es zahlreiche Initiativen, die sich mit dem Ziel, mehr grün in die Städte zu bringen, Straßenbäume, Kleingärten, Parks, um mehr Lebensqualität bemühen.

Wohnprojekte in Essen

Auch in Essen stehen die Zeichen auf naturnahe Gestaltung: Im Krupp-Park entsteht ein Wohnquartier, das den Bewohnern beides bietet: Wohnen im Grünen – teils mit eigenen Gärten oder Gemeinschaftsgärten – und urbanes Flair. Ruhe und Erholung ist möglich, zum Beispiel im Gruga-Park in Essen und vielen anderen Grünanlagen der Region. Geplant wurde, dass die vorhandenen Grünlagen nicht nur gesichert, sondern auch miteinander verbunden werden. Ziel ist es, ein grünes Netzwerk zu schaffen, das sich mitten durch das Ruhrgebiet zieht. In Marl nahe Recklinghausen ist man ebenfalls bestrebt, naturnahes Wohnen nahe der Stadtparks und Naherholungsgebiete Volkspark und Loemühlenbach nahe der Waldgebiete in der Hohen Mark und in der Haard zu ermöglichen.

Naturpark vor der Haustür

Der Naturpark Hohe Mark, der sich auf einer Fläche von über 1000 Quadratkilometern vom nördlichen Ruhrgebiet bis in den Südwesten des Münsterlandes erstreckt, darf als eine besonders gelungenes Projekt betrachtet werden, der von Schwerindustrie und Bergbau arg gebeutelten Natur wieder ihren Raum zu geben. Genau genommen beginnt er in Bottrop, dessen Stadtgarten in den Naturpark integriert ist. Er besteht aus einer abwechslungsreichen Landschaft mit großen Waldgebieten wie dem hügeligen Haard am Rande des Ruhrgebiets, oder einem kleinen Sandsteingebirge, den Borkenbergen. Teil des Naturparks sind auch die flachen Landschaften an den Flüsschen Lippe und Stever. Die verschiedenen Landschaften, die dieser Naturpark vereinigt, gelten als Rückzugsräume für etliche Tier- und Pflanzenarten. Dies sowie sehenswerte historische Bauten oder auch Monumente wie die Bruchhauser Steine laden zu einer reizvollen und abwechslungsreichen Fahrrad- oder Wandertour entlang der Ruhr ein.

Eisvögel an der Ruhr

Auch an der Ruhr werden wieder Eisvögel gesichtet, und auch die Uferschwalbe hat sich entlang des Flusses wieder niedergelassen. Ausschlaggebend dafür sind verschiedene Rückbauprojekte, wie zum Beispiel das „Auenkonzept Mittlere Ruhr“. So verschwinden im Bereich von Arnsberg bis Wetter künstliche Uferbefestigungen, Wehre werden entfernt Naturschutzgebiete eingerichtet. Überhaupt ist das Ruhrtal als Erholungsraum von besonderer Bedeutung für das Ruhrgebiet. Viele Städte und Gemeinden der Regionen haben sich weiteren Maßnahmen verschrieben, um der Natur im Ruhrgebiet weiter auf die Sprünge zu helfen. Mühlheim am Ruhrtalradweg zum Beispiel ist stolz auf seinen Ruhrstrand der Saarner Ruhrauen: Hier wird versucht, Fluss, Natur und die vielfältige Pflanzen- und Tierwelt in das Stadtleben zu integrieren.

Auch in Bochum lautet die Devise „Weg von der Industrie“. Auch hier werden seit mehreren Jahrzehnten viele Maßnahmen getroffen, naturnahe Räume zu schaffen. Das gilt auch für Bauprojekte: Schon Ende der 80er Jahre wandelt sich eines der unschönen Erbe der Krupp-Dynastie, eine insgesamt zirka 70 Hektar großen Fläche in der Bochumer Innenstadt, nach und nach zu einem Zentrum für Handel, Wirtschaft und Wohnen, aber auch für Kultur und Erholung.

Dortmund gilt als eine der grünsten Städte in Deutschland

Die Größe der Parklandschaft beläuft sich auf 38 Hektar, in dem als Bäume vorrangig Birken, Pappeln und Weiden angepflanzt wurden, und die in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem Industriewald mit zahlreichen Freizeitmöglichkeiten gewachsen sind. Überraschend: Dortmund zählt zu den grünsten Städten in Deutschland. Nach Angaben des städtischen Katasteramts sind zwei Drittel der Stadtfläche grün. Die Stadtverwaltung stützt sich bei dieser Aussage auf eine Untersuchung, nach der ausschließlich urbane Areale in Dortmund unter die Lupe genommen wurden. Die umliegenden Wälder flossen demnach nicht in die Untersuchung ein, dafür aber ein Teil der Bundesstraße 1 wegen des großen Baumbestandes entlang der Trasse.

Das Ruhrgebiet, einstiges Industriegebiet, Fotostock.adobe.com @ dudlajzov

Naturnaher Essener Süden

Als mittlerweile drittgrünste Stadt gilt Essen mit seinen zahlreichen Parkanlagen und Grünflächen. Gerade der Essener Süden, in erster Linie Werden, Stadtwald, Bredeney oder Heisingen, ist bekannt für seinen Erholungs- und Freizeitwert. Zwischen Essen, Gelsenkirchen und Bochum ist es auch der Landschaftspark Mechtenberg, den die Menschen als Freizeitoase nutzen. In den 90er Jahren wurden dort Wander- und Radwege, Alleen und Obstwiesen angelegt, um die Attraktivität des Geländes für die Besucher zu steigern und um Flora und Fauna bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen. Der Mechtenberg liegt vor der Haustür mitten im Städtedreieck, lange Anfahrten sind also nicht nötig, um dem Stadtleben zu entgehen.

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