Deutsches Haus – Eine Einrichtungsfibel von Peter Richter

Deutsches Haus – Eine Einrichtungsfibel von Peter Richter

Von einer Einrichtungsfibel werden normalerweise klare Anweisungen erwartet. Welcher Stoff in welcher Farbe, Landhausstil oder Modern – das sind die klassischen Themen. Dieses Buch ist zwar ein Ratgeber, aber es sagt dem Leser nicht, wie er sich einzurichten hat. Es sagt eher, wie man sich nicht einzurichten hat.

[ruhr-guide] Auf dem Cover des Buches, noch über dem Titel, ist das Urbild des deutschen Gemälde zu sehen:Deutsches Haus – Eine Einrichtungsfibel von Peter Richter Der Umriss eines Hirsches. Na sicher, denkt man, das Buch heißt ja auch Deutsches Haus. Da wird man wohl einiges über solchen Heimat-Kitsch erfahren. Denkt man. Allerdings sieht das Cover nach dem ersten Herumblättern schon etwas anders aus: Gab es bei Hirschen nicht Acht- und Zwölf-Ender? Dieses Geweih ist doch eher abgerundet. Das ist doch kein Hirsch. Und was sollen denn die Farben? Blau und Gelb. Wenn man das Tier erst mal erkannt hat, wird man auf dem Bild nichts anderes mehr erkennen können. Es ist ein Elch, und dann machen die Farben ja auch wieder Sinn.
Was das alles mit dem ‚Deutschen Haus‘ zu tun hat, erklärt Peter Richter in seiner witzigen und stellenweise bitterbösen Einrichtungsfibel.

Dass man bei der Ausstattung seiner vier Wände einige Hürden zu bewältigen hat, weiß jeder, der schon mal darüber nachgedacht hat, in wie weit eine Wohnung die Persönlichkeit des darin Lebenden widerspiegeln sollte, also ob sie ‚zu einem passt‘.

„Zeig mir wie du wohnst, und ich sag dir, wer du bist“: Durch diesen Satz wurde die Wohnung vom privaten Ort des Rückzugs zur öffentlichen Bühne der Selbstinszenierung. Wie weit dieses Zur-Schau-Stellen geht, und wie die Möbelindustrie mit immer gleichen ’neuen Trends‘ zum Konsum animiert, zeigt Richter auf unterhaltsame Weise.
Er bindet seine mehr als nachvollziehbaren Sichtweisen in witzige Geschichten ein:
Der Klavierunterricht in der Dachwohnung einer alten Jungfer, die während der Stunden gerne mal einschläft, wird zur Abrechnung mit den ‚Rigips- und Velux-Höllen‘ der obersten Etagen. Und wie wichtig die richtigen Helfer beim Umzug sein können, verdeutlicht eine Episode, die mit Sach-, und fast sogar auch Körperverletzung endet.

Wie wir zur deutschen Wohn-Gegenwart der Deko-Doku-Soaps kommen, und woher diese ihren Allwissenheits-Anspruch nehmen, zeigt diese Kulturgeschichte. Schon kurz nach der Entstehung der Nation kamen die ersten Einrichtungs-Ratgeber auf, die mit einem ganzheitlichen Bildungsanspruch aus den Menschen bessere Bürgern machen wollten.
Was danach, seit Bauhaus, Panton bis hin zu Manufactum, passierte, und warum das Schlichte, Wahre, und Klare immer noch als Ideale gelten, wird der Leser hier ebenso erfahren, wie das Geheimnis der sozialtherapeutischen Wirkung der Möbelweltmacht Ikea.

Nach diesem Buch wird der unvermeidbare, nächste Besuch beim Branchenprimus, trotz der anbiedernden Vertraulichkeit des Geduzt-werdens und der Warteschlangen bis in die Grünpflanzenabteilung, nicht mehr mit Gewaltphantasien, sondern mit einem neuen Blick auf Deutschland und dessen aktuelles Befinden enden.

Alle Themen rund ums Wohnen werden von Peter Richter behandelt:
Hausbesetzungen, Investitionen in Immobilien, Plattenbauten und das Eigenheim in der grünen Vorstadt, kaufen oder mieten.
Das jeden Menschen dieses Thema sein Leben lang und weit darüber hinaus begleitet, zeigt die einer Biographie nachempfundene Einteilung der Kapitel: Geburtshaus oder Hausgeburt, Kinderzimmer oder gute Kinderstube bis hin zum Wohnen nach dem Tod, dem Kapitel Urne, Grab oder Mausoleum.
Obwohl dieses Buch wohl etlichen Lesern die eigenen Wohn-Peinlichkeiten schmerzlich vor Augen führen wird, es aber keine Fluchtwege aus dieser Krise anbietet, so ist es doch eine mehr als frohe Botschaft: Es sagt das Ende der Schrankwand voraus.

Peter Richter: Deutsches Haus – Eine Einrichtungsfibel

Goldmann 2006, gebundenes Buch, 224 Seiten, ISBN-10: 3-442-30111-4,
18,00 Euro

(mrc)

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