Marlowe (Foto: D. Senf)

Grobilyn Marlowe – Portrait

Social-Beat, Kuschelterror, Trash und magische Momente. Wer Grobilyn Marlowe für einen längst verstorbenen Hard-boiled-Krimiautor aus der U.S.-amerikanischen Black-Mask-Reihe hält, der liegt falsch. Denn Marlowe lebt, und zwar mitten in der östlichen Ruhrgebietsmetropole Dortmund.

[ruhr-guide] Dort, wo die U-Bahn Richtung Dorstfeld aus dem Tunnel kommt, muss ich links abbiegen. Die Erinnerung an den 11. September 2001 kehrt zurück, denn das war der Tag, an dem ich ihn das letzte Mal besucht hatte. Marlowe (Foto: D. Senf)
Erste Etage, Altbau. Nein, er hat sich nicht verändert, das gleiche verschmitzte Lächeln, diese einladende Geste, die man bei Menschen schätzt wenn man ihre Wohnung betritt. Wir nehmen in der Küche Platz, „denn im Hinterhof bauen sie gerade eine Müllautobahn.“
Sein Kühlschrank kühlt Bier und vermutlich Lebensmittel, aber ich bin ja nicht zum Essen hier, also nehmen wir ein Bier. Noch bevor ich mich auf dem Sofa ausbreiten kann, bevor ich einen Glimmstängel Gift aus der Packung hole, streckt er seine Hände aus, die beschwörerisch meinen Kopf umkreisen … und zaubert eine Zigarette hervor. Mit Filter. Beinahe meine Sorte.

Grobilyn Marlowe hat mehrere Seiten. Er lässt sich nicht gerne festlegen. Und wie das so ist, am besten trifft man den 39-Jährigen in Dortmund. Zum Beispiel im „Subrosa“, wo er 2000 die Moderation des monatlichen Poetry-Slam von „Kalle“ Wirsch übernahm; eine mittlerweile etablierte Adresse und besonderer Anlaufpunkt für junge Literaten/Innen, die ihre Bühnenpräsenz und Rezitationsfähigkeit ausprobieren wollen. „Die Sache macht Spaß und ich kriege Freibier, außerdem lernt man interessante Leute kennen.“
Grobi ist per se ein exzellenter Beobachter, was der Kunst nur dienlich sein kann, er analysiert gerne die unterschiedlichsten Charaktere, macht dann eigene Figuren daraus und beleuchtet sie bis in die letzten Winkel ihrer Schwächen, ohne sie billig zu entblößen.

Social-Beat-Autor Marlowe

Als Social-Beat-Autor veröffentlichte Marlowe zwei Erzählbände und war in Anthologien, Zeitungen und Zeitschriften vertreten. Als Veranstalter organisierte er das erste Dortmunder Social-Beat-Festival 1996, als Musiker textete und komponierte er „Kuschelterror“. Und die dritte Schiene, die er 2005 betrat, war das Zauberhandwerk, dem er auch einen eigenen Namen verpasste, um der Kategorisierung ein Schnippchen zu schlagen.

„Ein gottverdammter Hippie der seine Leser/Innen in die Vorhöfe der Apokalypse und die Kloaken der Vernunft hinunterzieht. Ein sprachgewaltiger Voyeur der Groteske“, sagte der Verleger Robsie Richter über Grobilyn – und machte gleich zwei Bücher mit ihm. Doch der große Erfolg blieb aus, Underground-Literatur, bzw. Literatur schlechthin ist wie das einsame Spiel im Lotto, das nur ganz wenige gewinnen. Darum war es keine große Sache, als Grobilyn nach dem Scheitern des Social-Beat zum Slam-Poetry wechselte. Schließlich sind die Arten des Slam-Poetry – oder Spoken Words, und die Pop-Literatur erst aus den Fäkalien des Social-Beat entstanden.

Wir plaudern und trinken Bier als hätten wir uns gestern, und nicht vor 8 Jahren das letzte Mal gesehen, was mir nur bei ganz wenigen Menschen gelingt, und natürlich hören wir seine neuste CD: „Blomqist – niedlich aber kaputt“. Blomqist, das sind Grobilyn Marlowe, Andi Saite, Tom Forensico und Robert Dortschy. Das Cover zeigt ein Hinweisschild aus einem dänischen Supermarkt, respektive der Schnapsabteilung, nämlich den Schattenriss zweier Kinder, Junge und Mädchen, mit Schulranzen und Flaschen, sozusagen „aus der Tiefe des Raumes“. Wie schon 2002 das Publikum beim Straßenmusikfestival im Westfalenpark fand, und dem Duo Marlowe/Dortschy den ersten Platz zusprach, so findet auch hier der Trash seine Ausdrucksform, besser gesagt, es ist gesungener Trash in plüschig rockiger Atmosphäre, ein wenig rabaukenhaft, manchmal klar, manchmal zweideutig: „gekämpft, geköpft und reicher geworden.“

Ich spüre die Sprungfedern des Sofas auf dem ich sitze, beinahe hämorrhoidenverdächtig, weshalb, so spekuliere ich, Grobi dieses Sitzmöbel gerne den Besuchern überlässt, während er den Stuhl gegenüber bevorzugt, doch so kann er besser agieren.Marlowe (Foto: Salon Elwira)
„Besteck besorg` ich mir zum Üben vom Flohmarkt“, sagt er und demonstriert, was er meint. Natürlich ist das Zaubern hauptsächlich eine Befähigung das Auge des Betrachters zu irritieren, ob beim Kartentrick, dem Hütchenspiel oder einer Schnur, die aus einem Ganzen scheinbar geknotet, geteilt oder sonst wie von seiner ursprünglichen Form abweicht. Der Teelöffel jedenfalls, den er kurz unterm Tisch „bearbeitet“ und hochhält, sieht anschließend wie ein Korkenzieher aus. Magische Kräfte?
“Einmal wurde ich geleimt”, sagt er, „als ich den Trick in Hamburg vorführte. Da war so ein tätowierter Ex-Knacki, der nahm den verdrehten Löffel, betrachtete ihn kurz und bog ihn wieder zurecht. Allerdings mit reiner Muskelkraft.”“
Rein mechanisch Zaubertricks zu erlernen ist nichts besonderes, das kann jeder, die Kunst der feinen Magie ist eher wie eine Gaunerei im richtigen Leben: Man darf sich nicht erwischen lassen. „Deshalb habe ich mir für jeden Trick, der misslingt, eine Variante geschaffen, ich tue einfach, als sei es Teil des Programms.“

Trashmagie

Autor, Sänger, Komponist, Moderator, Veranstalter, Zauberer, Dozent, es gibt wenig, was Grobilyn in Sachen Kunst und Kommerz nicht ist. Und sein Ruf eilt ihm meistens voraus, die Ruhr-Nachrichten halten ihn für den „durchgeknalltesten Dozenten der VHS Dortmund.“
Weshalb er sich einen Namen – „Kotelett Schabowski“- und einen Titel für sein Tun ausdachte, nämlich “Trashmagie”, und dann loslegte: „Altersheime, Kitas, Biergärten, Sportplätze, Kindergeburtstage, Krankenhaus, Punkkonzert, Rockerfest, Crackentzugsklinik – hab ich überall schon gezaubert.“
Gleichzeitig holt sich Grobilyn Marlowe auch gerne Mitstreiter ins Boot, und seit Dezember 2006 ist die Zauber-Gang „Total paranormal“ regelmäßig zu Gast im Dortmunder Sissikingkong, dann wird aus Eins Vier, dann stehen ihm Mario Schulte (der Verzauberer), Pille (der Kartenhai) und Marc Weide als „Magic twen“ zur Seite.
Sublimierte Zauberei, könnte man die Art und Weise nennen, ihm reichen ein paar Quadratmeter Bühne und ein paar Utensilien, der Rest kommt quasi aus dem Bauch, wie es bei guter Situationskomik oder Slapstick der Fall ist.

Doch das ist längst nicht alles, wir werden den Typen noch sehen und hören, „schließlich“, sagt Grobi, „muss ich die Zeit mit krupudelischer Songlyrik oder hanebüchenen Shortstories füllen.“ Zudem ist ein Theaterstück angedacht, sowie die Idee zu einem Film. Tja, der Mann hat kein Haltbarkeitsdatum, nur ein für ihn allgemeingültiges Motto: Ein Kulturterrorist im Saftregime packt aus.

Das Bier treibt. Bevor wir uns verabschieden, muss ich pinkeln. Ich mache es wie immer, aber die Spülung läuft und läuft. „Heiliger Bimbam“, denke ich, „jetzt hab ich ihm die Mechanik des Klokastens ruiniert. Und das nach acht Jahren Abwesenheit.“
Na und? Grobilyn ist Zauberer.

Bücher:

Die dunkle Seite eines Hippies (Kopfzerschmettern Medien, 1996)
Killeralgenblues (Verlag Robert Richter, 1999)

Anthologie:

Horror Asparagus Stories (Kopfzerschmettern Medien, 1995)

Weitere Infos auf:

www.grobilyn.de

www.blomqist.de

(Hartmuth Malorny)

Fotos: Salon Elwira, David Senf

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