Lola Bildquelle: Rapid Eye Movies

Festivalkino: „Lola“ und „Kinatay“ in Bochum und Dortmund

Die Programmkinos der Region zeichnen sich insgesamt gesehen durch einen anspruchsvollen und vielseitigen Spielplan aus, der regelmäßig beweist, dass auch abseits von Hollywood sehenswerte Filme produziert werden. Leider wird dieses Engagement häufig nur mangelhaft gewürdigt, die Zuschauerzahlen könnten besser sein.

[ruhr-guide] Wer schon immer einmal in dieses breit gefächerte Feld des „Anderen Kinos“ einsteigen wollte,Lola Bildquelle: Rapid Eye Movies hat im September in Bochum und Dortmund eine gute Chance dazu: Das Endstation Kino im Bahnhof Langendreer (Bochum) und das Sweet Sixteen – Programmkino im Depot (Dortmund) zeigen Brillante Mendozas Festivalerfolge „Lola“ und „Kinatay“, zwei eindrucksstarke Vertreter des philippinischen Gegenwartskinos.

Brillante Mendoza, Jahrgang 1960, ist ein wichtiger Vertreter der philippinischen Filmschaffenden. Die Arbeiten des Regisseurs sind unkonventionell, rau und zeigen ein ungeschöntes Bild von Leben und Gesellschaft seines Landes. Das Mendozas Filme meist fernab der kommerziellen Filmindustrie auf Gefallen stoßen, kann er verkraften, denn als Dauergast auf Filmfestivals rund um den Globus kann er trotzdem seine Visionen erfolgreich nach außen tragen. Für „Kinatay“ konnte Mendoza 2009 den Regiepreis in Cannes gewinnen, eine große und wichtige Auszeichung innerhalb der Branche.

„Lola“ hingegen lief 2009 im Programm der renommierten Filmfestspiele von Venedig, gewann in Miami den Grand Szenenbild Lola Bildquelle: Rapid Eye MoviesJury Prize; bereits Mendozas Erstling „The Masseur“ wurde in Locarno 2005 mit dem „Goldenen Leoparden“ im Videowettbewerb ausgezeichnet. Der Regisseur trifft mit seinen Themen regelmäßig den Geschmack der Festivaljurys, obwohl „Kinatay“ in Cannes kurioserweise als miesester Beitrag beschimpft wurde, aber später den Preis für die „Beste Regie“ gewann. Nicht die einzige kritische Reaktion, die der Film auslöste, der jedoch ebenso viele lobende Worte für sich gewinnen konnte. „Kinatay“ ist ein Film, an dem man sich durchaus reiben kann.

„Lola“ und „Kinatay“ zeigen Menschen, die an extremen Orten, slum-ähnlichen Gegenden überleben, weil sie schlicht und einfach keinen anderen Platz haben. Meist gehören Mendozas Protagonisten der einkommensschwachen Unterschicht an, müssen um jeden Cent ringen und sich aufreiben, um Überleben zu können. Der Regisseur vermittelt darüber hinaus gesellschaftliche Werte, wie den wichtigen Stellenwert der Familie für alle Filipinos. Immer wieder legt er den Finger in die Wunden seines Landes und präsentiert die Missstände. Fernab jeden Urlaubskataloges sind die Bilder seiner Werke entstanden, so ist der Zuschauer jederzeit extrem „nah“ am Geschehen. Handlungsort beider hier vorgestellten Filme ist der Großraum Manila, die Hauptstadt der Inselgruppen.

„Lola“

In „Lola“ erzählt Regisseur Mendoza die Geschichte zweier Großmütter aus der sozialschwachen Unterschicht Manilas, dieSzenenbild Lola Bildquelle: Rapid Eye Movies beide versuchen müssen, schnellstens Geld aufzutreiben. „Das Wort Lola bedeutet Großmutter in Tagalog“, so der Regisseur und weiter „Filipinos sind sehr respektvoll gegenüber den Älteren, besonders gegenüber ihren Großeltern. […] Wenn die Eltern nicht da sind, werden die Kinder immer bei den Großeltern gelassen. Sie behandeln ihre Enkel öfters besser, als ihre eigenen Kinder“. Nach diesem Statement leuchtet die Rahmenhandlung des Films umso deutlicher ein: Lola Sepa (Anita Linda) kratzt jeden nur erdenklichen Cent für die Beerdigung ihres ermordeten Enkels zusammen, während Lola Puring (Rustica Carpio) dabei ist, irgendwie Geld für die Gerichtsverhandlung ihres Enkels zusammenzubekommen, dem Mörder von Sepas Enkel.

Dem Regisseur gelingt bei der filmischen Aufbereitung der aufopferungsvollen Suche nach Kapital nicht nur das Portrait zweier Großmütter, für die ihre Enkel alles bedeuten, sondern auch die Vermittlung eines einprägsamen Bildes sozialer Zustände in Manila. Dem Zuschauer schnürt sich förmlich die Kehle zu, so bedrückend erscheint die Geldsuche und die damit verknüpfte verzweifelte Hoffnung das jeweilige Ziel irgendwie zu erreichen. Zunächst verfolgt der Film jede Lola einzeln, spannend wird es, als sie sich treffen. Anfängliche Gegensätze werden gezeigt, auf die das Zusammenkommen folgt. Bezeichnend für Mendoza-Filme: Hier sind für ihn die Figuren, die beiden alten Frauen, das Wichtigste – der Mord interessiert ihn kaum, dient quasi nur als Aufhänger der Geschichte.

„Kinatay“

Waren es in „Lola“ zwei alte Frauen, die im Fokus von Mendozas Arbeit standen, ist es in „Kinatay“ (zu dt. „geschlachtet“) kinatayBildquelle: Rapid Eye Moviesder junge Polizeischüler Peping (Coco Martin), den die Kamera ohne Umschweife und oft in Echtzeit auf den Fersen ist. Eines Morgens heiratet er ohne großen Trara seine Freundin, die Familie trifft sich anschließend in einer Art Schnellrestaurant, um den freudigen Anlass zu feiern. Später am Tag drückt Peping die Schulbank, doch anstatt nach Hause zu gehen treibt er abends Schutzgeld für seine korrupten Vorgesetzten ein. In hiesigen Breitengraden sieht ein Hochzeitstag für gewöhnlich deutlich anders aus! Was Peping an diesem Abend bevorsteht, ahnt der junge Mann nicht im Geringsten: Seine Gruppe kidnappt eine junge Prostituierte und droht mit fataler körperlicher Gewaltbestrafung. Und alles nur, weil die Frau aufgrund ihrer Drogensucht finanzielle Schulden hat, die sie beim Oberchef nicht begleichen kann. Ein Exempel wird statuiert, unmenschlich, grausam und ohne Reue. Für Peping ist dies der erste Job dieser Art, wachsende Selbstzweifel sind seinem Gesicht anzusehen, ebenso der tiefe Schock, den er davon trägt. Soll er handeln oder mitmachen? Was wären die Konsequenzen? Bedeutungsvolle Fragen, die nicht nicht seine berufliche Karriere sondern das ganze Leben der Familie betreffen.

„Kinatay“ fordert mit einer interessanten optischen Gestaltung seine Zuschauer heraus, dem jungen Polizeischüler kinatay Bildquelle: Rapid Eye Movieszu folgen und lässt unter anderem eine ca. halbstündige Autofahrt ohne Schnitt oder größere Handlungselemente vorüberziehen. Derartige Szenen waren es, die in Cannes für Aufschreie gesorgt haben. Ungeduldige werden sich fragen, was das Ganze soll. Mendoza wählt diese Sequenz wohl überlegt aus, denn indem wir als Zuschauer in Echtzeit und ohne Schnitte die Fahrt miterleben und immer wieder Nahaufnahmen von Peping präsentiert bekommen, erleben wir dessen angsterfüllte Vorahnung auf das Bevorstehende mit. Die Grausamkeit des Augenblicks wird so auf die emotionale Empfindung des Publikums übertragen.

Selbstverständlich bricht der Regisseur mit derartigen Szenen die Konventionen des gewöhnlichen Hollywoodkinos, doch sollte man sich als Zuschauer auch mit einem solchen stellenweise arg unbequemen Film auseinandersetzen – Denn „Kinatay“ ist ein starkes Stück Film, der seine Story mit Hilfe Doku-ähnlicher Aufnahmen mit einer gehörigen Prise Realismus versetzt. „Kinatay“ legt keinen Schwerpunkt auf die Gewaltdarstellungen, sondern fokussiert die Umstände, die dazu führen. Dies ist sperrig, jedoch erschließt sich dabei dem aufmerksamen Zuschauer ein ganzer Reigen verschiedenster Eindrücke. Wut, Machtlosigkeit und Ärger keimen auf.

Realismus als Grundthema

Eben dieser Realismus lässt sich in beiden Werken des philippinischen Filmemachers feststellen. Die Kamera
Szenenbild Lola Bildquelle: Rapid Eye Movies ist immer nah an den Protagonisten, sie geht deren Wege förmlich mit. Die Autofahrt in „Kinatay“ oder längeres Laufen durch die verschmutzten und zugemüllten Straßen in „Lola“. Mendoza nimmt uns mit in seine Heimat, präsentiert Manilas Slumgegenden ohne zu beschönigen, greift seine Geschichten aus dem Alltagsleben der Menschen, die scheinbar nur in dieser Umgebung einen Platz finden konnten. Korruption wie auch Chancenlosigkeit oder Überlebenskampf wird thematisiert. Ebenfalls wird Geld zum bitter notwendigen Ziel für die Figuren beider Filme bzw. zum Objekt, um das sich alles dreht. Ohne große finanzielle Mittel im Rücken sind die Protagonisten zu den entsprechenden Handlungen gezwungen.

Fast unmenschliche Anstrengungen sind es, die sowohl beide Lolas als auch Peping auf sich nehmen, um an Geld zu gelangen – letzter vielleicht auch, um dieser misslichen Lage einmal entgehen zu können. Zumindest Peping muss dies bitter bezahlen, denn er wird diesen Abend nie wieder vergessen können. Nicht zuletzt ist es die drogensüchtige Prostituierte Madonna (Maria Isabel Lopez), die aufgrund ihrer Schulden in den Kreisel der Gewalt gerät. Geld bzw. das Nichtvorhandensein des Geldes an Stellen, wo es dringend benötigt wird, thematisiert Mendoza als Leitmotiv und zeigt die Auswirkungen der grassierenden Armut dieser Menschen für jeden Einzelnen von ihnen.

„Lola“ und Kinatay“ in Bochum und Dortmund

Zwei regionale Programmkinos haben die aktuellen Werke von Brillante Mendoza ins Programm genommen: Das Endstation Kino im Bochumer Bahnhof Langendreer zeigt seit letztem Sonntag bis einschließlich kommenden Mittwoch (8.9.) „Lola“, wenige Tage später ab dem 23.9. gibt es das Werk in Dortmund im Sweet Sixteen, dem Programmkino im Depot, zu sehen (bis 6.10.). Dieses zeigt bereits jetzt „Kinatay“ (seit dem 2.9.), der noch bis zum 15. September im Programm ist. Die Bochumer ziehen an den Tagen 19. bis 21.9. nach und zeigen den Gewinner des Cannes-Regiepreises.

(mo)

Bildquelle: Rapid Eye Movies

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