Hartmuth Malorny, Foto: Roberto Tarallo

Kolumne, Dortmund 2

Zum Jahreswechsel 1958-1959 bemerkte eine Frau: Hoppla, ich gebäre. Doch die Mutter musste arbeiten und kriegte für ihren Sprössling kein Elterngeld, sondern eine karge Zuwendung.

[ruhr-guide] 47 Jahre später, 2007, ist der Hartmuth Malorny, Foto: Roberto Tarallozarte Knabe längst erwachsen und auch weiterhin nicht gewillt Kinder in die Welt zu setzen, aber wie erging es den Frauen, die ihre Schwangerschaft ob der üppigen neuen staatlichen Subvention über die Datumsgrenze 2006 retten wollten? Nach Zeitungsberichten rückten weniger Hebammen zu Silvester aus als die Feuerwehr, denn eine klassische Familie – Mann geht arbeiten, Frau bleibt zu Hause und versorgt das Kind – diese Familie profitiert nicht vom neuen Elterngeld, es ist eins für Besserverdienende. Deswegen erfuhr den meisten Müttern keine Pein, deren Babys um 23:59 Uhr im Dezember zur Welt gekommen waren, sondern, Hauptsache gesund.

All jene neuen Gesetze, die seit dem 01. Januar 2007 anstehen, beinhalten vorsätzlich eines, nämlich, dass der größte Teil mehr bezahlen muss. Haben wir uns schon daran gewöhnt?
Teures Gas! DEW 21 am letzten Platz. Schlimmer als unsere Ski-Springer in Garmisch-Partenkirchen. Aber wettert nicht, liebe Leute, teures Gas ist längst nicht das Ende der Fahnenstange, es ist nett, dass wir überhaupt welches bekommen.

Unser Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer sieht in seiner Neujahrsansprache lieber zurück auf das Erreichte: „Aus meiner Sicht war 2006 für Dortmund ein Jahr, in dem wir konsequent daran gearbeitet haben, Pläne in Projekte münden zu lassen und Visionen in konkrete Maßnahmen umzusetzen …“
Ja, was meint er? Tackert er den erhamsterten Eurocities-Award „Innovation“ an die Wände im Foyer seiner Residenz? Oder ist er zufrieden über den Preis für die „beste Grundschule Deutschlands“, den die Schule „Kleine Kielstraße“ gewann?

Sicherlich. Zwei Sachen zum Vorzeigen. Auf solche Erfolge schaut man sogar von Düsseldorf neidisch rüber, wo Landesgesetze gemacht werden, deren Zutaten genauso geheim sind wie die Rezeptur der Currywurst, doch was nützt eine Reminiszenz wenn es um Gelder geht, die jeder gerne hätte und selten bekommt? Das Prestige-Projekt Phoenix-See wird gerne gelobt und soll der Stadt das Flair von Ibiza geben, dieses im Bau befindliche Planschbecken für gut Situierte; der Dortmunder Hauptbahnhof, vornehmlich Treffpunkt der arbeitenden Klasse, dessen Umbau von einem Verhandlungsintervall zum anderen immer teurer wird obwohl noch kein Stein gesetzt wurde, steht eher im Fokus der Kritik. Wie bemerkte ein Journalist süffisant? Pommesbude mit Gleisanschluss.

Stattdessen spielt unser Kämmerer Monopoly, er kauft die „Schlossallee“, vermietet sie für 10 Jahre, um mit den Einnahmen Kreditzinsen zu bezahlen. Nee, nee, der Dortmunder bleibt skeptisch, das Ruhrgebiet tickt anders, soll Frau Merkel in Berlin ruhig über Aufschwung faseln, das glauben wir erst, wenn es im eigenen Säckel spürbar voller wird. Zugegeben, zwischen Weihnachten und Neujahr platzte die City aus allen Nähten, der Westenhellweg sah schlimmer aus als die B1 während eines schrecklichen Unfalls – Geschiebe, Gedränge, Umtausch und Neukauf, wegen der Mehrwertsteuererhöhung. Vielleicht. Wer weiß, ob nicht der eine oder andere Kaufladen die Mehrwertsteuer zum Kalkül seiner eigenen Bereicherung gemacht hat? Schwierige Zeiten mit der Angst im Nacken, und von der Politik seit Jahren eingetrichtert: Gürtel enger schnallen. Wespentaille. Butter vom Brot. Und nun soll alles besser werden? Selbstverständlich! 7,2 Tage krankheitsbedingter Ausfall bei den Arbeitnehmern. Rekord seit der Wiedervereinigung. Ein Signal, dass wir mehr Spaß an der Arbeit haben, wie jener Drogenschmuggler, den 15 Streifenwagen quer durch das Ruhrgebiet verfolgten und erst am Hengsteysee stoppen konnten.

Jahreswechsel 1959. Dortmund stand für den aus der Fruchtblase kommenden Kolumnisten gar nicht zur Disposition, stattdessen bekam er einen Klaps auf den Hintern. Er schrie. Er wurde von seiner Mutter mit der Schwebebahn nach Hause verfrachtet. Es war nicht sein Verdienst, dass in Deutschland seit dem Jahr 1959 die Arbeitslosenquote kontinuierlich von 2,6 Prozentpunkten bis 1962 zum historischen Tiefpunkt 0,7 % sank. Ab dann ging es bergauf.

Doch das einschneidenste Erlebnis, dass sich Dortmund nun in die Analen schreiben kann – nicht nur Dortmund, auch NRW und die komplette BRD sowie ein guter Teil Westeuropas – tja, das war Kyrill, (altgriechisch: Der Herr). Dieser „Herr Sturm“ hat uns laut abschließendem Polizeibericht vom 19.01.2007 13:47 Uhr folgendes beschert: Knapp 1000 Polizeieinsätze, Gesamtschaden 1,4 Millionen Euro, 14 leicht verletzte Personen. Von der Feuerwehr wurden 1355 Einsätze verzeichnet.

Die materiellen Schäden fördern den Aufschwung, der Dachdecker freut sich und um ihn nicht zu enttäuschen, legen wir bei der Versicherung leicht etwas drauf, zum Beispiel die lose Dachziegel neben dem Kamin, die wir längst auswechseln wollten. Der „Herr“ hat sicherlich nichts dagegen.

Und wie war das Wetter sonst, dieses allumfassende Thema seit es den Begriff „globale Erwärmung“ gibt? Durchwachsen. Blick aufs Thermometer, Blick zum Himmel. Für eine kurze Zeit waren die Temperaturen tatsächlich im Keller, Schnee bedeckte die Stadt. Aber nur ein paar Tage lang. Darum müssen sich die Klimakonferenzen kümmern, nicht wahr?

Nun, der Januar ist rum, die Boulevard-Presse kann sich wieder den nichtigen Themen widmen, darum der Aufruf an Berühmte und Reiche: leistet euch ein paar Schnitzer, wir langweilen uns. Wir stecken im Winterloch, ohne Schnee. Gott sei Dank haben wir Politiker, sozusagen unsere Lückenfüller, und im schlimmsten Fall muss die Kirche mit einem netten Fiasko herhalten. Aber vor allen Dingen nicht zu vergessen: Karneval! Also, an Spaß wird es nicht mangeln, keine Sorge, und was für die einen Aschermittwoch vorbei ist, beginnt für die anderen Gründonnerstag.

Die Gerippe der ehemals stolzen Weihnachtbäume wurden von der EDG entsorgt, nicht ahnend, dass Kyrill sich vehement über die städtische Bepflanzung hermachen würde, ein paar Hartnäckige werden noch im Frühjahr ein „Frohes neues Jahr“ wünschen, und wenn man denen nicht glauben kann, wem dann? Vermutlich der Mutter, wenn sie sagt: Damals war sogar die Zukunft besser.

Hartmuth Malorny, Buchautor aus Dortmund schreibt regelmäßig auf ruhr-guide.de aus und über seine Heimatstadt.

Foto: Roberto Tarallo

Nach oben scrollen