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30. Duisburger Filmwoche

Unter dem Titel „Sehen ist denken“ schaut das Ruhrgebiet vom 6. bis zum 12. November zum Dellplatz, wo im filmforum, im Kulturzentrum Die Säule und im HundertMeister das Festival für den deutschsprachigen Dokumentarfilm diejenigen Arbeiten zeigt, die den Zuschauer ernst nehmen: von alltäglichen Familiengeschichten bis zu Gewinnern und Verlierern auf der Kokerei Kaiserstuhl.

[ruhr-guide] 30 Jahre Dokumentarfilm, das sind 30 Jahre Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit in Wort und Die 30. Duisburger Filmwoche zeigt " title=Bild. Dazwischen liegen viele Wege, Kreuzungen, Abzweigungen. Manches ist auf der Strecke geblieben, manches bearbeitet worden. Wie lässt sich Geschichte in Bildern erzählen? Der 46. Deutsche Historikertag mit dem Titel „Geschichtsbilder“ zum Beispiel hob zwar die „besondere Bedeutung der wachsenden Zahl an Film und TV-Dokumentationen in der Mediengesellschaft“ hervor, nannte die auf Quoten zielenden Produktionstechniken jedoch „manipulativ und problematisch“, das Geschichts-TV gar „Verwahrlosungsfernsehen“. In Duisburg dagegen sind die Bilder beheimatet und wohl behütet.

Man blickt zurück nach vorn: 30 Programmplätze bieten aktuelle Bezugspunkte und erlauben Rückblicke in den Debatten. Welche Bilder von Wirklichkeit macht sich der Betrachter? Mit welcher Bildsprache wird gearbeitet? Die 30. Duisburger Filmwoche blickt hinter die geschmeidigen Kulissen und hat sechs Uraufführungen und vier deutsche Premieren im Programm.

Jeder schweigt von etwas anderem

Eröffnet wurde die Filmwoche am Montag, 6. November, mit den Auswirkungen eines staatspolitischen Systems auf das familiäre Erbe. Eine Mutter und zwei Väter waren in ihrer Jugend angeklagt, staatsfeindliche Propaganda zu betreiben und wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die eigenen Kinder sind dabei unfreiwillig auf der Strecke geblieben. Jetzt reden manche und entschließen sich zu schweigen, andere schweigen und beginnen zu reden. Wieviel Vergangenheit kann die Gegenwart ertragen? Der Film „Jeder schweigt von etwas anderem“ (D/2006, 72 Min) von Marc Bauder und Dörte Franke widmet sich den Nach- und Nebenwirkungen eines verseuchten Gesellschaftssystems.
„Kapusta. ein Bewegtbildportrait“ von Bozena Leschczyk tauchte anschließend in die polnische Provinz ein, in der die Uhren langsamer ticken und zeichnet damit ein Portrait des alltäglichen, familiären Landlebens.

Vom Ausverkauf der Arbeit

Demontage und Wiederaufbau, Konkurs und Relaunch, Machtgefüge im wuchernden Kapitalismus. „Losers and Winners“ (D/2005, 96 Min) von Ulrike Franke und Michael Loeken begleitet die Demontage der Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund: Der Wiederaufbau auf einem anderen Kontinent steht fest. Chinesische Arbeiter werden eingeflogen, verschiedene Arbeitskulturen prallen aufeinander. Man beobachtet sich, ist verunsichert, lernt voneinander. Doch die Trauer der Arbeiter über den Verlust des Dortmunder Werks ist groß. Und 2006 spricht die lokale Politik plötzlich von der Notwendigkeit einer neuen Anlage: Verstehe, wer kann.
30. Duisburger Filmwoche: " title=Oberschlesien und die kapitalistischen Auswüchse im „Neuen Europa“: Kinder betteln auf den Straßen und unterstützen ihre arbeitslosen Eltern. Doch der 11jährige Stasio bezeichnet sich lieber als „Businessman“ (D/2005, 30 Min). Und er besitzt das, was man als Geschäftsmann braucht: Schläue und Humor. Stanislaw Mucha begleitet den jungen Protagonisten bei seinen Geschäften in einem gnadenlosen Alltag eines grenzenlosen Kapitalismus.

Bilanz ziehen

Es ist Zeit, um Bilanz zu ziehen, nicht nur über das eigene Leben, sondern auch über gesellschaftliche und politische Zustände. Im Herbst 77 wird der Großindustrielle Palmers vor seinem Haus in Wien entführt und nach 100 Stunden Gefangenschaft und der Übergabe von 31 Millionen Schilling Lösegeld freigelassen. 25 Jahre später sind die Beteiligten Thomas Grat und Othmar Keplinger erstmals bereit, ihre Geschichte zu erzählen. „Keine Insel – Die Palmers Entführung 77“ (A/2006, 90 Min, deutsche Erstaufführung) von Alexander Binder rekonstruiert die Hintergründe dieser Geldbeschaffungsmaßnahme für die Bewegung 2. Juli: Verstrickungen im Untergrund zweier Nachbarländer.
Ein Stück rumänische Zeitgeschichte: Die politische Karriere des ungarischen Anwalts und Politikers Elöd Kincses gestaltet sich problematisch, seine Versuche, als Unabhängiger ins Parlament gewählt zu werden, scheitern. Réka Kincses, Tochter und Filmemacherin, nimmt sich ihrem Vater an und zieht für ihn Bilanz: Warum konnte er im politischen System seit 89 keinen Fuß fassen? „Balkan Champion“ (D/2006, 89 Min) verbindet das Scheitern im politischen System mit den Folgen für die Familienpolitik. Nikolaus Geyrhalter zieht eine zeitlose Bilanz der menschlichen Lebensgrundlage.

Specials der 30. Filmwoche

Neben dem Filmprogramm präsentiert die Filmwoche eine kleine Reihe feiner Extra-Veranstaltungen. Duisburg sondiert die nachbarschaftlichen Verhältnisse und widmet sich außergewöhnlichen dokumentarischen Formen anhand von Film- und Lesematerial. So findet am Dienstag, 7. November, 10.00 Uhr die Buchpräsentation von Bodo Witzke „Ich muss nicht Angst vor Bomben haben. Der Dokumentarfilmer Hans-Dieter Grabe.“ statt.
Der Bericht aus Wien: Dziga Vertov steht am Mittwoch, 8. November, 10.00 Uhr auf dem Programm. Das Filmmuseum Wien arbeitet gemeinsam mit Thomas Tode und Barbara Wurm den umfangreichen Nachlass des sowjetischen Filmemachers auf. Die Präsentation gibt Einblick über die neue Katalogpublikation zu den Arbeiten Vertovs und stellt die von Peter Kubelka restaurierte Fassung von Vertovs „Entuziazm (Simfonija Donbassa)“ vor.

Alle Infos und das ausführliche Programm gibt es auf www.duisburger-filmwoche.de

(sl)

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