In der Innenstadt Essen, hinter dem Haus der Technik befindet sich eine Station der Stadtführung: Im Vordergrund sind einzelne Sitzplätze und es sind kaum Menschen in der Nähe, Foto: Theresa Dieckmann/ruhr-guide

Stadtführungen: Eine Reise in (m)eine andere Welt

Janita-Marja Juvonen und ihre Kollegin Jana Dietrich machen kostenlose, ehrenamtliche Führungen durch die Essener Innenstadt und zeigen dabei eine Seite des Stadtlebens, die sonst unsichtbar bleibt: das Leben in der Obdachlosigkeit. Frau Juvonen selbst war obdachlos und nutzt ihre Erfahrungen jetzt, um wohnende Menschen über das Thema zu informieren und dabei zu zeigen, dass nichtwohnende Menschen auch Menschen sind.

In der Innenstadt Essen, hinter dem Haus der Technik befindet sich eine Station der Stadtführung: Im Vordergrund sind einzelne Sitzplätze und es sind kaum Menschen in der Nähe, Foto: Theresa Dieckmann/ruhr-guide

[ruhr-guide] Obdachlosigkeit ist ein Thema, über das meistens geschwiegen wird. Aus diesem Grund ist es mit Vorurteilen und Unwissenheit behaftet. Janita-Marja Juvonen will dem entgegenwirken und hat daher ehrenamtlich Stadtführungen auf die Beine gestellt, die das Leben als obdachlose Person beleuchten. Juvonen selbst war einst obdachlos und engagiert sich, seitdem es ihr möglich ist, dafür, Wissen in die Gesellschaft zu bringen und mit Vorurteilen aufzuräumen. Die Atmosphäre der Führung ist trotz des ernsten Themas eher locker, da Frau Juvonen Wert darauf legt, sie offen und humorvoll zu gestalten, damit sich die Teilnehmenden vor dem Thema nicht verschließen und offen Fragen stellen können. Juvonen achtet besonders darauf, dass man in den Führungen nicht an Orte geht, an denen sich Betroffene aktuell aufhalten. Denn auch sie verdienen Privatsphäre und die Stadtführerinnen stellen sich klar gegen Elendstourismus.

Einige Stationen der Führung

Die Führung von Frau Juvonen und Frau Dietrich beginnt meist am Springbrunnen gegenüber vom Hauptbahnhof in Essen. Hier informieren sie uns darüber, dass es sich bei dem Wasser um nicht-trinkbares Wasser handelt. Die beiden Stadtführerinnen erklären, dass viele obdachlose Personen an heißen Sommertagen dennoch auf dieses Wasser zurückgreifen – ungeachtet der gesundheitlichen Folgen, da sie an anderen Orten gar nicht an Wasser kommen. In Einrichtungen zum Beispiel, in denen es kostenloses Wasser gibt, kann man nicht endlos viel Wasser mitnehmen und müsste dieses auch eigenhändig tragen. Für obdachlose Menschen wären Brunnen mit Trinkwasser eine hervorragende, kostenlose Wasserquelle.

Am Hauptbahnhof selbst lernen wir, was so genannte „defensive Architektur“ ist: Sie wird von Städten und Kommunen angewandt, um obdachlose Menschen davon abzuhalten, sich hier aufzuhalten, auszuruhen oder zu schlafen. Wir merken aber auch, dass alle Menschen davon beeinträchtigt werden, da sich hier niemand hinsetzen kann, auch wenn man es möchte oder muss. Für ältere Menschen zum Beispiel wären normale Bänke wesentlich besser.
Außerdem besuchen wir eine von der Stadt Essen gestiftete öffentliche Toilette, die eigentlich nur ein Pissoir ist und damit für obdachlose Frauen nutzlos. Sie ist oben offen und weit weg von den Straßen, die die Gesellschaft benutzt. Das zeigt sehr gut, wie obdachlose Menschen ausgeschlossen werden und wie wenig auf ihre normalen, menschlichen Bedürfnisse eingegangen wird. Dies sind Umstände, die Frau Juvonen ändern möchte, indem sie eine Stimme für obdachlose Menschen ist und ihnen Sichtbarkeit gibt.
Auch die weiteren Stationen der Führung zeigen uns, was das Leben als obdachlose Person erschwert, was es vereinfacht und welche Dinge geändert werden müssten.

Wichtig zu wissen

Janita-Marja Juvonen möchte uns alle animieren, obdachlose Menschen wahrzunehmen und aus der Ausgeschlossenheit zu holen, indem wir Verständnis für sie bekommen und unser Wissen weitertragen. Wenn zum Beispiel jemand abfällig über obdachlose Personen spricht – in derer Anwesenheit oder nicht – können wir uns an ihrer statt wehren und informieren. Obdachlosen Menschen selbst ist das oft nicht möglich, weil sie sofort mundtot gemacht und als asozial abgestempelt werden.
Natürlich ist es auch immer gut, Essen oder Trinken für obdachlose Menschen zu besorgen. Wenn man obdachlosen Menschen etwas Gutes tun will, sollte man aber nachdenken, was ihnen wirklich helfen könnte: zum Beispiel wird Obst schnell schlecht und sollte daher nicht irgendwo hingelegt werden oder man sollte jemandem nicht den zwanzigsten Kaffee am Tag kaufen, denn das ist für Gesundheit und Schlaf schädigend. Am besten ist es immer, die Menschen selbst zu fragen, was sie brauchen könnten!

Wer sich weiter über Janita-Marjas Leben und ihre Ansichten informieren möchte, kann das auf ihrem Blog tun unter janitas-blog.jimdofree.com und auf ihrem Instagram-Kanal www.instagram.com/einmal_absturz_und_zurueck, auf dem sie zum Beispiel ihre aktuellen Veranstaltungen postet sowie Menschen dazu aufruft, über positive Begegnungen mit obdachlosen Menschen zu berichten und damit das Bild, das in der Gesellschaft von obdachlosen Menschen vorherrscht, zu verändern.

Stadtführungen: Eine Reise in (m)eine andere Welt

Mehr Infos unter
janitas-blog.jimdofree.com/stadtführungen
Auch für Fragen steht Frau Juvonen zur Verfügung unter j.juvonen@web.de.

Fotos: Theresa Dieckmann/ruhr-guide

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