Die Angst in den Gesichtern der Mutigen hat sie vergessen
Herta Braun - mit den "3 Contys" eine Trapezartistin der Weltklasse - lebt heute in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke in Gelsenkirchen. Die Karte von Fredy Knie, die Illustriertenberichte und bunten Programmhefte - in einer abgewetzten Ledertasche warten sie darauf, Herta Brauns Erinnerung zu wecken.
Gelsenkirchen, im Mai 2006.

Die Karte von Fredy Knie, die Illustriertenberichte und bunten Programmhefte - in einer abgewetzten Ledertasche warten sie darauf, Herta Brauns Erinnerung zu wecken. Manchmal, wenn sich Jürgen Herold, Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege, mit ihr unterhält, dann gelingt das für eine kleine, kostbare Weile. Herta Braun leidet an Demenz. Die Bilder der goldenen Artistenzeit ruhen tief verborgen in ihrem Gedächtnis. Wie ein verschollener Schatz, den sie sucht, aber nicht finden kann. Und doch: jetzt, wo sie mit Martha im Wintergarten des Gemeinschaftsraums sitzt, auf ihrem Sessel, den sie zusammen mit ihrem Mann Gerhard vor langer Zeit ausgesucht hat, beginnt sie plötzlich, aus ihrem abenteuerlichen Leben zu erzählen.
Vertrauen und eiserner Wille - darauf kam es an
Von ihren Auftritten
Mehr Zeit für die geliebte Schwester
An ihr Karriereende 1980 erinnert sich Herta BraunDie Anfang April eröffnete Wohnstätte für Demenzkranke der Familien- und Krankenpflege Gelsenkirchen bietet dauerhaft Platz für elf Bewohner. Die durchschnittliche Größe der Einzelzimmer liegt bei circa 16 Quadratmetern, die des Gemeinschaftsraums mit kleinem Wintergarten bei 100 Quadratmetern. Den Bewohnern stehen neue, geräumige Bäder zur Verfügung. Durch die Zusammenlegung von zwei Etagen des Gebäudes an der Hohenzollernstraße besteht für die Demenzkranken die Möglichkeit, ihre eigenen Möbel mitzubringen, um eine vertraute Atmosphäre im neuen Zuhause zu schaffen. Natürlich haben die Betroffenen die freie Wahl des Pflegedienstes, der sie in der Wohnstätte besucht.
mit einem weinenden und einem lachenden Auge. "Auf einmal ist man nicht mehr der Star, das ist schade. Dafür habe ich seit dem sehr viel Zeit für meine Schwester", sagt sie. Nachdem die beiden im April in die Wohnstätte einzogen, wurde den Betreuern die starke Bindung der Geschwister schnell bewusst: "Sie sitzen gerne zusammen, kochen und spielen gemeinsam und teilen sich sogar ein großes Bett", sagt Jürgen Herold. Für den Geschäftsführer der Familien- und Krankenpflege Gelsenkirchen ist die Vertrautheit, die Herta Braun hier aufgebaut hat, ein Beweis für den richtigen Betreuungsweg der Wohnstätte: Die demenzkranken Bewohner bekommen hier ihre festen Aufgaben, werden in einer vertrauten Umgebung gefordert. So ist es für die Betroffenen trotz ihrer Krankheit möglich, die Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis zu rufen und ihrer Umwelt für einen kurzen Moment den Blick auf eine glanzvolle Vergangenheit zu erlauben. (jens Südmeier)
Fotos: Christoph Kniel