Am Samstag, 25. Juni, krachte es mächtig im Ruhrgebiet. Mit Helmet, Motörhead, Slut, Beatsteaks, Kettcar, Nine Inch Nails und System of Down kamen die ganz Großen an die Ruhr und rockten beim ersten Area4 Festival in Oberhausen. Rund 20.000 begeisterte Fans rockten vor der eindrucksvollen Kulisse des Gasometers.
[ruhr-guide] Bange Blicke zum Himmel und die Regenjacke im Gepäck – so machten sich am Samstag wohl die meisten auf nach Oberhausen. Denn am Morgen gingen über dem Ruhrgebiet sturzbachartige Regenfälle nieder und ließen befürchten, dass der Festivalspaß ins Wasser fallen könnte. Aber es kam ganz anders. In Oberhausens Neuer Mitte angekommen, begann zunächst die Parkplatzsuche und hier hatte man gegen Familien und Paare zu kämpfen, die in die wunderbare Warenwelt des CentrO gekommen waren. Nun denn, in der Oase noch schnell eine Pizza eingeschoben und eingereiht in den Pilgerstrom Richtung Gasometer.
Das um kurz vor 15 Uhr noch recht leere Festivalgelände zeigte sich in einem nicht sehr rockbaren Zustand. Das sonst als Parkplatz genutzte Areal glich eher einer Schlammgrube, denn durch den Regen hatten sich in den Schlaglöchern tiefe Pfützen gebildet und jede nicht bis zum Knie hoch gekrempelte Hose war unmittelbar eingesaut. Helmet spielten mit „Meantime“ und „Just another victim“ gerade ihre Zugabe und damit hatten wir die netten Jungs um Page Hamilton mit den erkennbaren grauen Schläfen wenigstens nicht ganz verpasst.
Nun hieß es erstmal abwarten, rumlaufen, alles angucken. Hier gab es einen Dönerstand, dort einen Kistenstapelwettbewerb. Man konnte CDs oder die offiziellen Bandshirts kaufen. Von einem sehr langen Kran sprangen Wagemutige mit dem Kopf zuerst in die Tiefe. An den Bierständen bildeten sich die ersten Schlangen. Im großen Zelt, der Tent Stage, wurde für den nächsten Act umgebaut. Das im Grünen gelegene Festivalgelände hatte alles, was zu einem amtlichen Open Air dazu gehört. Und den Gasometer, der wie ein Koloss über das Geschehen zu wachen schien und von dessen Dach sich wohl die Ruhrgebietsfans über das für Oberhausen ungewöhnliche Treiben und die Lautstärke gewundert haben dürften.
Die erste Band, die alle anwesenden Besucher aus ihrer einsetzenden Lethargie reißen konnten, waren Motörhead, die um 18 Uhr die Main Stage betraten. In bewährter Pose und mit vor dem Mikrofon verrenktem Hals rockte Lemmy vor viele Songs des gerade veröffentlichten Albums „Inferno“ und bekannte Hits wie natürlich „Ace of Spades“. Und so verwandelte sich das Area4 Festival schnell in einen Headbanger’s Ball: Pommesgabel vor Gasometer. Beinahe zeitgleich traten Slut im Zelt auf und wir hätten ihnen für ihren routiniert perfekten Auftritt ein paar Zuschauer mehr gegönnt.
Es war nicht der Gasometer vor ihrer Nase, der sie ablenkte, es war das Fußballspiel Deutschland – Brasilien, nach dessen Zwischenstand sich die Beatsteaks ab und zu erkundigten. „NICHT KLATSCHEN – AUSFLIPPEN“ war das Motto der Band und so rockten und feierten die sympathischen Berliner den Pott. Bei den Smashhits „Hello Joe“, „I don’t care as long as you sing“ oder „Hand in Hand“ gab es kein Halten mehr. Sänger Arnim gab alles, nutzte die Größe der Bühne zum Rumflippen aus und suchte hin und wieder die Nähe der begeisterten Zuschauer. Mit dem Coverstück „dass ihr wirklich alle kennt“ hatten die Beatsteaks wirklich auch den letzten Tanzmuffel überzeugt und huldigten mit „Sabotage“ den kultigen Beastie Boys. Der Spaß, den die Band beim Musizieren hatte, sprang schnell auf das Publikum über, die Schlammschlacht hatte ihren ersten Höhepunkt erreicht.
Es war der Bandvielfalt zu verdanken, dass sich beim Area4 Festival die verschiedensten Facetten der Rockmusik trafen. Und wenn bei den Beatsteaks Jeans und T-Shirts rockten, waren nun Lack und Leder, Schwarz gefärbte Haare und dunkel geschminkte Augen vorherrschend. Auch wenn die Nine Inch Nails in diesem Sommer auf zahlreichen Open Airs in Deutschland auftreten, ihr Gig im Ruhrgebiet war in dieser Größenordnung eine Premiere. Und dass da eine Legende der Szene kam, merkte man schon in der Umbaupause. Imposante und bisher abgedeckte Lichtanlagen wurden abgedeckt, zahlreiche Mikrofonständer aufgestellt. Und dann warten. Die Nine Inch Nails ließen sich bitten. Als sie dann endlich die Bühne betraten riss wie auf Bestellung der bisher bedeckte Himmel auf, elektronische Brachialklänge ließen den Boden erzittern und ein Sturm der Begeisterung ging durch die Massen. Mastermind und Herrscher Trent Reznor durchlitt den dramaturgisch durchdachten Auftritt sichtlich – von emotional bis zerstörerisch. Die Nine Inch Nails zelebrierten einen Querschnitt ihres bisherigen Schaffens, spielten viel Material ihres neuen Albums „With Teeth“ und auch ihre erfolgreichsten Stücke „Closer“ sowie „Head like a hole“. Knallharter Sound der zu einer ehemaligen Industrieregion besser kaum passen könnte, eine Lightshow die an die brennenden Himmel der Vergangenheit erinnerten, als die Hochöfen noch in Betrieb waren. Doch wer dachte, dass es härter nicht mehr geht, wurde vom Headline eines besseren belehrt.
Immer dichter drängten sich die Besucher des Area4 Festivals vor der Bühne. Diese wurde mit einem riesigen Vorhang für das Finale mit System of a down vorbereitet. Die tiefen Pfützen waren inzwischen getrocknet, vor dem immer dunkler werdenden Nachthimmel stand nun der inzwischen illuminierte Stahlriese und die Bühne. „Everybody’s going to the party have a real good time“. Die Zeile aus „B.Y.O.B.“ hätte passender nicht sein können. Wer für den Sound von System of a down eine Kategorisierung sucht, gerät in Schwierigkeiten. Wer den Auftritt in Oberhausen erlebt hat, ist noch ratloser, ob der Perfektion, der Geschwindigkeit oder der Poesie. In diesem Jahr wurden System of a down vom Esquire zu den „Best Agitators“ gewählt, die sind, was Public Enemy früher einmal waren und was Rage against machine nicht geschafft haben zu werden. Innovativ und einzigartig meinen wir, am Tag danach immer noch mit einem Pfeifen auf den Ohren. Vom kürzlich veröffentlichten Album „Mezmerize“ spielten sie nur ein paar Stücke und konzentrierten sich hauptächlich auf das Erfolgsalbum „Toxicity“. Serj Tankian zelebrierte jeden Ton wie ein Barde. Er und Daron Malakia (Gitarre), Shavo Odadjian (Bass) und John Dolmayan (Schlagzeug) trieben das Publikum in den Wahnsinn und noch in den letzten Reihen wurde getanzt, gerockt, Gänsehautfeeling inklusive. „ATWA“, „Needles“, „Toxicity“ und „Aerials“ waren die Highlights und von verschiedenen Seiten konnte man hören „Das ist das beste Konzert das ich je gesehen habe“.
Weit nach Mitternacht war das erste Area4 Festival dann Geschichte. Ohne nennenswerte Zwischenfälle hatte das Ruhrgebiet sein erstes „richtiges“ Open Air erlebt – von den Schlammspuren einmal abgesehen. Es bleibt zu hoffen, dass es im nächsten eine Neuauflage geben wird, mit einer ähnlich guten Bandauswahl. Denn sowas hat hier im Revier gefehlt. Hat sich eigentlich irgendjemand Kettcar angesehen?
Area4-Festival
25. Juni 2005
König-Pilsener-Arena Open Air Gelände
Neue Mitte/CentrO
Oberhausen
(sl)