Kriege versetzten die Welt in Schock und Panik. Der 30jährige Krieg, die Weltkriege und auch die Konflikte im Nahen Osten ließen die Uhren der Welt still stehen. Diese Momente werden nicht selten zu Motiven auf Fotopapier, wenn jemand geistesgegenwärtig die Kamera hebt, um festzuhalten, was die Nachwelt nicht vergessen darf. Von April bis Juli befindet sich im Museum Folkwang eine außergewöhnliche Retrospektive, die sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzt.
[ruhr-guide] Das Museum Folkwang in Essen beheimatet von April bis Juli eine Fotoausstellung, die das Thema Krieg in einen ungewöhnlichen Zusammenhang mit Zeit und Fotografie setzt. Das weltweit größte Museum für moderne Kunst, die Londoner Tate Gallery of Modern Art, bringt in Kooperation mit dem Museum Folkwang und den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine Ausstellung in das Ruhrgebiet, die sich durch ihre Konzeption und Vielfalt von der bloßen Kriegsdokumentation distanziert.
Rund 125 Werke internationaler Fotografen und insgesamt über 800 Ausstellungsstücke zeigen den Krieg in all seinen Facetten, menschliches Leid, die Schäden an der Natur und der Infrastruktur der Städte, das Geschehen nach dem Getöse der Gewehre und was davon zurückbleibt. Durch 13 Räume, deren schlichte weiße Wände und hohe Decken den Betrachter förmlich von der Außenwelt abschotten, begleiten Aufnahmen von Nachkriegsszenarien den Besucher. Das Konzept orientiert sich nicht am zeitlichen oder geografischen Verlauf der Konflikte, sondern an den Daten der Fotografien. Angefangen bei Aufnahmen, nur Momente nachdem sich der Staub der zerbombten Betonmauern gelegt hat, bis hin zu Abbildungen von Landschaften, die kaum noch sichtbare Spuren der einstigen Eskalation tragen. Die Bilder zeigen Werke von 68 Fotografen, die zwischen 1855 und 2013 entstanden sind. In all den Jahren haben unzählige Künstler die Kriege in Libyen, Afghanistan, Japan, Vietnam, Frankreich, Deutschland – die Liste ist beschämend lang – fotografisch, künstlerisch, emotional oder distanziert betrachtet, sie dokumentiert und nicht zuletzt ihre Auswirkungen auch weit über die Grenzen der Konfliktgebiete hinaus sichtbar gemacht.
Literarisches Vorbild der Bewältigung
Die Auswahl der Exponate scheint auf den ersten Blick willkürlich, aber es ist die Betrachtungsweise des bereits Vergangenen im Zusammenhang mit den Nachwehen und der Gegenwart, die das Konzept schlüssig macht. Die Retrospektive zieht den Betrachter nicht mitten in die Schlachtfelder kriegerischer Handlungen, sondern bewahrt sich die Gewissheit, dass all dies Vergangenheit ist. Das Konzept dieser Aufarbeitung des Krieges entstammte dem Roman „Schlachthof Nr. 5“ von Kurt Vonnegut. Der Autor, selbst ein Überlebender des Zweiten Weltkriegs, bewältigt die Erinnerung an die Bombardierung Dresdens auf eine sehr eigene Art. Science-Fiction mischt sich mit Historie und Biografie, sprunghafte Erzählweise und skurrile Phantasiewelten schützen sowohl den Autor als auch den Leser davor, das Erlebte zu nah an sich zu lassen. Der US-amerikanische Anti-Kriegsroman war nach seiner Veröffentlichung 1972 in den Zeiten des Vietnamkrieges ein Kultbuch geworden und ist es bis heute geblieben. Billy Pilgrim, die Hauptfigur, erlebt seine Geburt und seinen Tod, ist alt und jung zugleich, er wird von Außerirdischen entführt und zur Schau gestellt. Eine schizophrene Weltsicht, voller Zeitsprünge zwischen Hier und Nirgendwo, half Vonnegut seine realen Erfahrungen mit dem Krieg zu bewältigen. Diese Auflösung von Dimensionen, von Zeit und Raum, verspürt der Besucher auch beim Rundgang durch die Galerie. In schlichten Rahmen, selten großformatig oder aufdringlich, hängen an den weißen Wänden Fenster in andere Welten. Geografisch unabhängig voneinander, chronologisch losgelöst vom realen Verlauf zeigen sie Soldaten und Zivilisten, Landschaften, Orte.
Das Herzstück der Ausstellung bilden die Exponate aus dem Archive of Modern Conflict. Umringt von den 12 anderen Räumen, befindet sich hier eine breite Auswahl am Bildern, Gegenständen und Büchern aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, die zu einer multimedialen Installation verwoben wurden. Für die Ausstellung in Essen wurde ein extra Raum zum Thema Ruhrgebiet im Zweiten Weltkrieg eingerichtet, der sich speziell mit der Bedeutung und Zerstörung der Region befasst.
Die Künstler als Therapeuten
Wo heute nichts mehr ist, schafft die Fotografie ein Bild der Dinge, wie sie waren. Die französische Fotografin Sophie Ristelhueber ist auf der Ausstellung mit mehreren Aufnahmen aus Kuwait vertreten. Zu sehen ist auf den Fotografien eigentlich nur Sand und Reste von Dingen. Unter dem Titel „Fait“ zeigt die Bilderreihe Aufnahmen einer Wüste, die 7 Monate nach dem Ende des Golf Kriegs entstanden sind. Die ruhige Landschaft ist karg und gezeichnet von den Bomben und Angriffen. Ein paar verstreute Gegenstände ragen aus dem Sand. Sie sind stumme Zeugen und Beweise dafür, dass hier vor gar nicht so langer Zeit der Mensch gewütet hat. Die unterschiedlichen Perspektiven, mal von oben aus großer Distanz, mal ganz nah, lassen den Raum unendlich und verlassen erscheinen. Ristelhueber führt dem Betrachter nicht die Grauen der Kämpfe vor Augen, sondern die Hinterlassenschaften – die Narben auf dem Gesicht der Natur spiegeln auch das menschliche Leid wider.
Besonders deutlich spürt man dieses Leid beim Betrachten einer Fotografie von Don McCullin. Der Fotojournalist machte 1968 eine Aufnahme von einem US Marine kurz nach dessen Kampfeinsatz. Wie traumatisch solche Erlebnisse sind, zeigt der Gesichtsausdruck des Mannes. Der Titel des Bildes „Shell-shocked US Marine“, ist so direkt und ehrlich, wie die Fotografie selbst. McCullin hat die Erschütterung im Gesicht des Mannes so unverfälscht eingefangen, dass das Kriegszittern fast noch spürbar ist. Es zeigt einen entgleisten Geist, der durch aufgerissene Augen nichts anderes mehr sieht als Angst. Nur durch die Nähe zu den Truppen während des Einsatzes war es McCullin möglich einen solchen Moment einzufangen. Heutzutage wird auf die Sicherheit der Journalisten in Kampfgebieten besonders viel Wert gelegt, leider sind sie dadurch so „eingebettet“ und in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt, dass solche Aufnahmen immer seltener werden.
Unter den 68 Künstlern finden sich Professionelle und Amateure, manche fotografieren was da ist – Gegenstände, die nicht vollkommen zerstört wurden, andere richten ihr Objektiv auf das große Ganze und machen Aufnahmen von der durchlöcherten Dresdener Skyline. Einige Bilder zeigen ungeschminkte Wahrheiten, puristisch präsentiert, wie z.B. der japanische Künstler Hiromi Tsuchida. Unter dem Titel „Lunch Box“ zeigt er die Brotdose einer 15-Jährigen, die bei dem atomaren Angriff der US-amerikanischen Luftwaffe in Hiroshima war. Uhren, Schuhe und Kleidung fanden sich zerstreut über das ganze Gelände. Schlicht, auf weißem Grund werden diese Dinge ins rechte Licht gerückt. 37 Jahre nachdem der Atompilz sich verzogen hat, dokumentierte Tsuchida anhand der Sachen das Geschehen in der japanischen Hafenstadt am 6. August 1945.
Die Ausstellung
… kommentiert die Kriege, die Kämpfe und das Chaos in Retrospektive. Es wird zurückgeblickt ohne zurück zu blicken. Nicht mitten in das Geschehen soll der Betrachter gerissen werden, sondern in der Ruhe nach dem Sturm die Zeit zum Nachdenken finden. Die Klarheit, mit welcher einige der Fotografien uns konfrontieren, ist nur möglich, weil die Bomber schon weg waren, weil die Maschinengewehre für einen Moment inne hielten und die Schreie nicht mehr zu hören waren als der Auslöser betätigt wurde.
Conflict, time, photography
10. April bis 5. Juli 2015
Museum Folkwang
Museumsplatz 1
45128 Essen
Tel.: 0201 8845 444
E-mail: info@museum-folkwang.essen.de
Öffnungszeiten:
Di, Mi 10 – 18 Uhr
Do, Fr 10 – 20 Uhr
Sa, So 10 – 18 Uhr
Eintritt:
Erwachsene: 8,00 €
Ermäßigt: 5,00 €
Kinder u. Jugendliche von 6 – 18 Jahren: 5,00 €
Foto: Don McCullin: Shell Shocked US Marine, Vietnam, Hue, 1968, printed 2013, © Don McCullin, courtesy Hamiltons Gallery, London