Schrill bunt, plötzlich monochrom, kreischig laut, dann wieder ganz still, völlig hart, im nächsten Moment zart. Der „Woyzeck“ im Theater Oberhausen ist nichts für schwache Nerven. Die deutsche Erstaufführung der Opera nach Georg Büchner begeisterte am 19. September 2008 das Publikum – und sorgte für einen Ohrwurm in typischer Tom Waits Manier.
[ruhr-guide] Dieser Woyzeck ist am Ende. Mal schleppt er wie in Trance seinen Werkzeugkasten durch die Gegend, dann hüpft er heiter mit seinem Kumpel Andres umher, dann sitzt er einfach da und starrt paralysiert in eine Welt, die nicht seine ist: „Misery’s the river of the world“.
In großen, fast bedrohlichen Buchstaben prangt das Wort SEXNESSE über dem Gebäude, wo sich all die schrägen und kaputten Typen tummeln. In einem kargen Zimmer lässt sich der Hauptmann von Woyzeck rasieren, hustet sich der Doktor die Seele aus dem Leib und bietet Margreth ihre Dienste am Manne an. Hier arbeitet Woyzeck, hier geht auch Marie, seine Freundin, mit ihrem gemeinsamen Kind spazieren. Doch Woyzeck erträgt das Weinen des Kindes nicht und Marie erträgt Woyzeck nicht und lässt sich lieber vom Tambourmajor anmachen und verführen. Unter den schäbigen Neonröhren.
Der Mensch ist ein Abgrund
Von der ersten Sekunde an ist der Zuschauer gefesselt. Von den wunderschönen Balladen und den verstörend heftigen Songs, von dem wahrhaft schaurigen Ort und von den Menschen, die ihr Leben weggeworfen zu haben scheinen und nun in einer Art Albtraum gefangen sind. Unterstützt wird dieser Eindruck von den kurzen Szenen, die schnell wechseln und scharfe Splitter auf den Zuschauer niederprasseln. Alles wirkt bedrohlich und verstörend, bisweilen eklig und verwerflich, selbst die schönen Momente.
Und Tom Waits‘ Beschreibung des Stückes trifft ins Schwarze: „Woyzeck handelt von Wahnsinn und von Obsessionen, von Kindern und von Mord – alles Dinge, die uns berühren. Das Stück ist wild und geil und spannend und Phantasie anregend. Es bringt einen dazu, Angst um die Figuren zu bekommen und über das eigene Leben nachzudenken. Ich schätze mal, mehr kann man von einem Stück nicht verlangen.“
Nach und nach wird die Krankheit Woyzecks, seine Schizophrenie, immer augenscheinlicher. Sie gipfelt in einem völlig verrückten und Angst einflößenden Fratzen-Tanz der Figuren in hochhackigen Stiefeln, aus Freund wird Feind – „Sauf Woyzeck“, wird der am Boden Liegende aufgefordert, sich an der primitiven Spaßorgie zu beteiligen. Mit vergehendem Rausch kommt die Ernüchterung: Marie bereut ihren Seitensprung und flüchtet sich in Woyzecks Arme. Doch der zückt das Rasiermesser und tötet sie. „Misery’s the river of the world“.
Mit Leib und Seele
Mit diesem Bühnenhighlight unter der Regie von Joan Anton Rechi startete die Intendanz von Peter Carp am Theater Oberhausen und die neue Spielzeit 2008/09. Die schauspielerische Leistung des Ensembles war herausragend. Jürgen Sarkiss spielt einen zutiefst verstörten und verstörenden Woyzeck, Nora Buzalka verkörpert mit ihrer naiven Weiblichkeit denjenigen Muttertyp, der in heutiger Zeit engen Kontakt zum Jugendamt hätte. Henry Meyer spielt sich als Doktor im wahrsten Sinne des Wortes um Verstand und Lunge. Susanne Burkhard hingegen bleibt die ganze Zeit ein unnahbarer und seelenloser Eisblock. Am Premierenabend wurde vom Pubikum auch das musikalische Spiel gefeiert, wie auch das Bühnenbild von Anlfons Flores.
Der Fall Woyzeck wurde durch zahlreiche medizinische Gutachten berühmt, als junger Medizinstudent las Georg Büchner diese in der Bibliothek seines Vaters. Als Büchner 1837 mit nur 23 Jahren starb, hatte er mit seinem Drama „Dantons Tod“ die Literatur längst revolutioniert. Aber sein „Woyzeck“ blieb nur ein „Fragment in Prosa“, geschrieben 1836, und die kurzen Szenen wirken wie einzelne Blitzlichtaufnahmen einer verrückten Gesellschaft.
Am 8. November 1913 wurde „Woyzeck“ unter der Regie von Dr. Eugen Kilian am Residenztheater München uraufgeführt, heute zählt Büchners Werk zu den einflussreichsten und meistgespielten Dramen der deutschen Literatur. Im Jahr 2000 wurde Tom Waits „Opera Woyzeck“ am Betty Nansen Theater in Kopenhagen in Regie von Robert Wilson uraufgeführt. Auf der Grundlage der überlieferten Fragmente Büchners schrieb Waits mit seiner Frau, der Songtexterin Kathleen Brennan, eine hinreißende Showmusik und herzzerreißende Balladen, in denen sich das Seelenleben von Büchners Figuren widerspiegelt. Das Theater Oberhausen darf als erste Bühne Tom Waits‘ „Woyzeck“-Interpretation nachspielen.
Tom Waits & Kathleen Brennan
Woyzeck
Opera nach Georg Büchner
Regie: Joan Anton Rechi
Musikalische Leitung: Otto Beatus
Samstag, 27.09., 19:30 Uhr,
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Samstag, 11.10., 19:30 Uhr,
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Samstag, 18.10., 19:30 Uhr,
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Sonntag, 19.10., 19:30 Uhr,
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Freitag, 24.10., 19:30 Uhr,
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Samstag, 25.10., 19:30 Uhr,
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(sl)
Fotos: Tanja Dorendorf