Gegensätze ziehen sich an. Ein alter Hut? Nicht für Uwe Bossert und Nora Grisu, die einen echten Drahtseilakt meistern. Zwei Menschen, die scheinbar wenig gemeinsam haben und dennoch ein Projekt mit so viel Feingefühl und Ausdruckskraft stemmen, dass man denken könnte, sie wären jahrelange Partner. Dabei ist „fall oder tanz.“ das erste Album der Band DrahtSeilAkt. Entstanden aus der Suche eines erfolgreichen Gitarristen und einer unsteten Liedermacherin nach neuer Verwirklichung. „fall oder tanz.“ bietet tiefsinnige deutsche Texte und leichtfüßige poppige Gitarrenmelodien, die zum Träumen einladen.
[ruhr-guide] Abakadabra – eine Zauberformel oder auch „der erlösende Schuss“, wie es gleich im ersten Song des Albums heißt. Auf jeden Fall aber der Startschuss für ein bisschen Magie, lyrische Wortspiele und sehr ehrliche Texte. Dafür stehen DrahtSeilAkt mit „fall oder tanz.“ und ihrer jeweiligen musikalischen Vergangenheit. Uwe Bossert mag wohl derjenige sein, welcher der breiten Masse bekannter ist als seine Partnerin Nora Grisu. Ihre erste Begegnung findet 2009 statt. Zu jener Zeit hat Bossert gerade nach jahrelanger erfolgreicher Arbeit bei der deutschen Band Reamonn eine Schaffenspause vor sich. Diese nutzt er, um seinen Hang zum Produzieren zu entdecken und sich sogar eine eigene Firma sowie ein persönliches Studio in München aufzubauen. Nora Grisu dagegen zieht es eher auf die kleinen Bühnen und die abgelegenen Pfade des Lebens. Sie beobachtet Menschen im Alltag und ihre sich entwickelnde Ideen, um sie in feine aber prägnante Lyrik und Kurzgeschichten zu fassen. Große Ähnlichkeiten findet man zwischen den beiden Künstlern nicht.
Spätsommerfeeling mit DrahtSeilAkt
Gerade dies mag das Besondere am Projekt DrahtSeilAkt ausmachen. „fall oder tanz.“ gewinnt seine musikalische Magie durch Grisus zarte helle Stimme und die harmonischen Gitarrenklänge von Bossert. Die Wortspiele und Bilder, die Grisu in ihren Texten malt, sind oft so verschachtelt und eindrucksvoll wie jene von Jennifer Rostock. Doch statt mit derbem Ton punkten DrahtSeilAkt mit hinter Wortspielen versteckter Kritik und spätsommerlicher Melancholie. Das gesamte Album klingt wie ein warmer Hauch, der einem auf einer Blumenwiese unter blauem Himmel durch die Haare fährt und dennoch nicht sofort wieder verschwindet. Nachdenken, Träumen, Philosophieren – alles ist hier erlaubt. Ehrlich und verspielt, wie die Texte sind, wird sich jeder darin wiederfinden.
Zauberhafte Flucht vor dem Alltag
Mit einem „Abakadabra“ beginnt das Album und weckt den Hörer aus einem Alltag zwischen ungespültem Geschirr und Pfandflaschen, um in die Welt von DrahtSeilAkt einzutreten. Es folgt ein Song mit Ohrwurmcharakter. „Ungeschminkt (wie du bist)“ reißt sofort mit, ist rockig frech und fährt selbst dem müdesten Publikum ordentlich in die Tanzmuskeln. Die meisten Tracks sind jedoch eher ruhiger Pop in Verbindung mit fein abgestimmtem Gitarrensound und märchenhaften Texten, in denen von „Schneewittchen“ und einem „Zauberberg“ die Rede ist. Hinter der Manege erkennt man jedoch das Pure von Grisus Worten und die Flucht vor dem schnörkellosen Alltag, die man mit diesem Album in elf Songs und etwa 40 Minuten antreten kann, ohne den Boden der Tatsachen jemals zu verlassen.
Tiefgründiges Album
„Immer absolut perfekt“ scheint das Schneewittchen von heute im siebten Track auf „fall oder tanz.“ zu sein. Und perfekt funktioniert auch die Zusammenarbeit zwischen Nora Grisu und Uwe Bossert trotz aller charakterlichen Unterschiede. Bossert kennt die großen Bühnen wobei Grisu eher eine kleine Liedermacherin ist. Zusammen begeistern sie auf ihrem Debütalbum mit einem sehr tiefgründigen, nachdenklich machenden Album, das trotz allem vor Leichtigkeit und Freude an sprachlichen Finessen schwebt.
(sarah bauer)
Bildquelle: ADD ON MUSIC Promotion