Das Ruhrgebiet als Ballungsraum, ist in dieser Form erst um die 150 Jahre alt. Viele der kleinen Dörfer und Städte im Revier entwickeln sich zwar schon im Mittelalter und früher, doch gelangen sie erst durch die Kohleförderung im Zuge der Industrialisierung zu bedeutender Größe. Die natürliche Grundlage der Entwicklung des Ruhrgebiets ab dem 19. Jahrhundert sind seine Steinkohlevorkommen und die damit zusammenhängende Montanindustrie mit Eisen, Stahl, Dampfmaschinen und Eisenbahnen.
[ruhr-guide] Erste Kohlefunde sind zwar schon im 13. Jahrhundert
schriftlich für den Raum Dortmund belegt, haben zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine große Bedeutung. Besonders Steinkohle gilt lange als minderwertig, zum Heizen wird Holzkohle bevorzugt. Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert werden 16 unabhängige Siedlungen zu Hansestädten, darunter Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen und Wattenscheid. Einige sind durch den Hellweg, eine wichtige Handelsstraße, miteinander verbunden. Auch die Anfänge des Stollenbergbaus liegen im 16. Jahrhundert. So wird im Muttental bei Witten – der „Wiege des Ruhrbergbaus“ – bereits 1578 Kohle abgebaut. Dies geschieht allerdings zunächst in waagerechten Stollen, was möglich ist, da hier einzelne Kohleflöze zu Tage treten. Weiter nördlich überdeckt eine dicke Mergelschicht aus der Kreidezeit die Kohle. Im Jahr 1832 wird hier mit „Herkules“ einer der ersten Tiefbauschächte abgeteuft. Doch die meisten Menschen im Gebiet um die Ruhr leben zu dieser Zeit noch von der Landwirtschaft.
Auch wenn mit der Inbetriebnahme der St. Antony-Hütte in Oberhausen 1756
Kohle, Eisen und Stahl im Ruhrgebiet – Grundlagen für die Industrialisierung
Die Dampfmaschinen sind essentiell, da erst durch diese der Abbau der Kohle in größeren Tiefen gewinnbringend möglich wird, indem sie das einströmende Grundwasser an die Erdoberfläche pumpen. Des Weiteren sind sie notwendig, um die Förderkörbe, die Arbeiter und Material in die tiefen Schächte und wieder hinauf befördern, anzutreiben. Im Jahr 1839 wird auf der Zeche „Kronprinz“ zwischen Essen und Mülheim erstmals erfolgreich Fettkohle abgebaut.
Der erste Kokshochofen entsteht 1850 in Mülheim an der Ruhr auf
Flüsse und Kanäle als Kohletransportwege
Ein wichtiger Faktor im Zusammenhang mit der Industrialisierung im Ruhrgebiet ist der Ausbau der Wasserwege und des Schienennetzes zum Transport der abgebauten Kohle und des erzeugten Stahls.
Die Ruhr wird im 18. Jahrhundert schiffbar gemacht. Um flache und steile Abschnitte zu überbrücken, werden zwischen 1776 und 1780 zwischen Duisburg und Fröndenberg-Langschede 16 Schleusen errichtet. Auf der Ruhr werden primär Steinkohle und Salz aus der Saline Königsborn transportiert. Hinzu kommen etwas Getreide und verschiedene Güter aus dem Ruhrtal. Als Kohletransportweg gelangt die Ruhr besonders in der ersten Hälfte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu großer Bedeutung. Werden auf ihr 1830 noch 275.000 t Güter transportiert, sind es im Jahr 1849 bereits
514.000 t.
Einer der wichtigsten 
Die Ruhr als wichtigster Kohletransportweg
Ab 1850 gibt es Daten über den Anteil der Kohle an den auf der Ruhr transportierten Gütern. Dieser liegt bei über 90%. Ihren Höhepunkt erreicht die Ruhr als Kohletransportweg im Jahr 1860 mit 868.000 t transportierter Kohle. Danach sinkt die Transportmenge jedoch wieder. Im Jahr 1874 werden 78.000 t transportiert, im Jahr 1884 sind es nur noch 10.000 t. Im Jahr 1889 werden gerade mal noch 3.000 t Kohle transportiert und im Jahr 1890 gehen nur noch zwölf Schiffsladungen Kohle über die Ruhr. Im Jahr zuvor hat bereits das letzte Kohlenschiff die Schleuse in Mülheim passiert.
Dass die Ruhr ihre Bedeutung als Transportweg für die Kohle verliert, liegt vor allem an der Errichtung der Ruhrtalbahn in den Jahren 1872 bis 1876. Der Konkurrenz durch die Eisenbahn kann die Ruhr schon bald nicht mehr standhalten.
Dennoch werden neue Kanäle im Ruhrgebiet errichtet. So wird im Jahr 1899 der Dortmund-Ems-Kanal mit dem Dortmunder Hafen und dem Schiffshebewerk Henrichenburg bei Waltrop eröffnet. Der Kanal erlangt besondere Bedeutung für den Transport von Erzen, die zur Verhüttung der Kohle aus dem Ruhrgebiet benötigt werden. Im Jahr 1914 folgt der Rhein-Herne-Kanal, der zum meistbefahrenen Binnenkanal Europas aufsteigt. Er stellt eine Verbindung vom Rhein bei Duisburg bis zu einem Stichkanal des Dortmund-Ems-Kanals bei Herne her.
Eisenbahn als Transportweg im Ruhrgebiet
Ein weiterer wichtiger Transportweg für die Kohle aus dem Ruhrgebiet
Im Jahr 1843 wird die Lizenz zur Errichtung einer Eisenbahnstrecke von Köln nach Minden erteilt. In den folgenden Jahren wird die Strecke Stück für Stück gebaut und die Teilstrecken nach und nach eröffnet. Am 20. Dezember 1845 geht die erste Teilstrecke bis Deutz, am 9. Februar 1847 reicht sie bereits bis Duisburg und am 15. Mai des selben Jahres verläuft die Teilstrecke nördlich der Zentren des Hellwegs entlang durchs Ruhrgebiet bis nach Hamm. Am 15. Oktober 1847 erreicht die Strecke Minden, wenn auch zunächst eingleisig.
Mit der Steele-Vohwinkeler-Bahn fährt, ebenfalls 1847, der erste Dampfzug durch das Ruhrtal. Am 12. November 1852 wird eine Stichstrecke vom Bahnhof Oberhausen über Meiderich nach Ruhrort eröffnet. Folglich sind die Zechen nördlich des Hellwegs und um die Emscher mit dem wichtigen Ruhrorter Hafen verbunden.
Im Jahr 1862 wird im Süden des Ruhrgebiets durch die Bergisch-Märkische
Doch der Transport auf Schienen soll nicht nur der Kohle vorbehalten bleiben. Im Jahr 1893 fährt in Essen die erste elektrische Straßenbahn im Raum Rhein-Ruhr.
Von ländlichen Dörfern zum größten Ballungsgebiet Europas – dem Ruhrgebiet
Anfang des 19. Jahrhunderts, als das Ruhrgebiet noch ländlich geprägt ist, wohnen in den größten Städten wie Dortmund und Duisburg
Werks- und Arbeitersiedlungen
In der Nähe vieler Zechen im Revier errichten die Unternehmer selbst Werks- und Arbeitersiedlungen, in denen sie günstig Wohnraum an ihre eigenen Arbeiter vermieten. Dadurch schützen sie sich vor hohen Fluktuationen, denn die Mietverträge sind an die Arbeitsverträge gebunden. Zudem verhindern die geringen Mieten zu hohe Gehaltsforderungen.
Die älteste Zechenkolonie ist die Werkssiedlung Eisenheim bei Oberhausen, die für die Beschäftigten der Gutehoffnungshütte ab 1844 mit zunächst 20 Häusern errichtet wird. In den folgenden Jahren bis 1911 wird sie in mehreren Bauphasen erweitert. So leben hier um die Jahrhundertwende ca. 1.200 Menschen in 51 Häusern. Noch heute ist die Siedlung erhalten.
Um 1900 leben 20% aller Arbeiter des Ruhrgebiets – bei den Bergarbeitern sogar ein Drittel – in einer der 25.000 Wohnungen in Werkssiedlungen.
Da die Kolonien zunächst schnell errichtet werden müssen und zudem
In den meisten Siedlungen im Ruhrpott haben die Häuser einen kleinen Garten, indem Gemüse angebaut werden kann und Platz für einen kleinen Stall – zum Beispiel für eine Ziege – ist, damit sich die Arbeiter mit dem Nötigsten selbst versorgen können.
An klassischem urbanen Leben, das Geschichte und Kultur beinhaltet, fehlt es jedoch zunächst. Die zweckmäßigen Siedlungen entstehen in vielen Fällen aus dem Nichts und sind eigenständige Dörfer oder Stadtteile. Die Arbeiter gehen zu Fuß zu ihrer Zeche und verbringen ihre geringe Freizeit innerhalb ihrer Siedlung. Der erste „Kinematograph“ wird erst 1910 eröffnet. Theater wie das Grillo in Essen bleiben die Ausnahme. Erst ab 1950 halten Theater, Opern und Museen vermehrt Einzug ins Revier. Hochschulen und Universitäten erst in den 1960er Jahren. Um die wachsenden Vororte jedoch besser an den Stadtkern anzubinden lässt zum Beispiel Dortmund 1871 bis 1874 seine Wälle nahezu komplett abtragen.
Krisen, Kriege und ein Wirtschaftswunder
Durch fallende Kohlepreise, Überproduktion und sinkende Eisenpreise in England kommt es im Jahr 1857 zu Absatzschwierigkeiten im Revier, was zu einer Wirtschaftskrise führt. Infolgedessen müssen einige Hochöfen und Zechen im Ruhrgebiet schließen. Am 17. Dezember 1858 wird der Bergbau-Verein gegründet, dessen Ziele die Steigerung des Kohleabsatzes, der Ausbau des Verkehrsnetzes, günstigere Tarife im Eisenbahntransport und der Ausbau der staatlichen Reglementierung im Bergbau sind. Nach und nach schließen sich im Ruhrgebiet fast alle Zechen des Oberbergamtsbezirks dem Verein an. Einer der Gründe für einen erneuten Aufschwung ist der Sieg im Deutsch-Französischen-Krieg 1871 und Geld der Franzosen, das durch die darauf folgenden Reparationsleistungen ins Land kommt.
Während des ersten Weltkriegs entwickelt sich das Ruhrgebiet zur
Die Kohlekrise und das Ende einer Ära
Nach einem wirtschaftlichen Aufschwung bricht jedoch im Jahr 1958 überraschend die „Kohlekrise“ aus, von der sich die Montanindustrie im Ruhrgebiet nicht mehr richtig erholen soll. Als Gründe werden der hohe Preis der Ruhrkohle und die sinkenden Preise für Öl, durch das die Kohle mehr und mehr ersetzt wird, genannt. Ruhrkohle ist vor allem teurer als die Alternativen aus dem Ausland, weil hier weitaus tiefer gebohrt werden muss, um an Kohle zu kommen, als in anderen Ländern. Im Durchschnitt wird 1960 in der Bundesrepublik Deutschland in einer Tiefe von 644 m gebohrt. Im Vergleich dazu muss die USA nur 100 m unter die Erde, um an Steinkohle zu gelangen. Doch auch die Abschaffung der Ölsteuer und die sinkenden Preise in der Schifffahrt sorgen dafür, dass Kohle aus dem Ruhrgebiet bald nicht mehr konkurrenzfähig ist. In Folge dessen werden bis 1963 31 Großzechen geschlossen. In den Jahrzehnten darauf gibt es weitere zahlreiche Stilllegungen. So wird die Anzahl der Bergleute in den 1970er Jahren auf 200.000 reduziert. In Duisburg verlieren zum Beispiel zwischen 1980 und 1992 42,5% aller Beschäftigten im Bergbau und der Stahlindustrie ihren Arbeitsplatz. Im Jahr 2002 fördern noch sieben Bergwerke im Ruhrgebiet Kohle. Im Jahr 2009 sind es nur noch vier. Staatlich subventioniert wird der Abbau von Steinkohle noch bis 2018, danach ist dieses Kapitel in der Geschichte des Ruhrgebiets endgültig abgeschlossen.
Dass das Ruhrgebiet so stark unter der Kohlekrise leidet, liegt daran, dass es sich hier über 150 Jahre eine „industrielle und gesellschaftliche Monostruktur“ aufgebaut hat, die allein auf die Bedürfnisse der Montanindustrie ausgerichtet und ihr Erfolg allein von den Produktionszahlen der Stahl- und Eisenindustrie und der Fördermenge von Kohle abhängig ist. Um sich nach dieser Ära neu orientieren und seinen Bewohnern weiterhin Arbeitsplätze und Wohnqualität bieten zu können, ist im Ruhrgebiet ab Mitte des 20. Jahrhunderts ein Strukturwandel nötig.
(mg)
Fotocredit:
Zeche Zollern I/III in Dortmund-Kirchlinde, historische Postkarte: LWL
Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen, ca. 1910: ©ThyssenKrupp AG
Innerer Bereich der Gussstahlfabrik in Essen, 1864: ©ThyssenKrupp AG
Der rekonstruierte Ruhrnachen im LWL-Industriemuseum: LWL/Hudemann
Lokomotivfabrik, 1954: ©ThyssenKrupp AG
Plan der Gussstahlfabrik, 1889: ©ThyssenKrupp AG
Zechensiedlung für Zwangsarbeiter: LWL
Siedlung Margarethenhöhe, 1912: ©ThyssenKrupp AG
Schäden im Werk durch Luftangriffe, 1943/44: ©ThyssenKrupp AG





