Es gibt tausend Informationen und hundert Jahre Ruhrpott-Geschichte. Es gibt viele alte Zechen und Grafschaften selbst hier im Revier. Doch wer weiß schon darüber Bescheid? So gut wie niemand. Doch das wird sich nun ändern! Denn mit dem ersten historischen Ruhrgebiets-Lesebuch von Klaus Tenfelde und Thomas Urban ist die Geschichte des „Potts“ so greifbar und nah wie nie. Mit zwei dicken Bänden wurde die Historie für jetzt und immer zusammenfassend festgehalten. Erschienen sind die jeweils 550 Seiten starken Bücher im Klartext Verlag.
[ruhr-guide] Gut, zugegeben, man schlägt den ersten Band des historischen Ruhrgebiets-Lesebuchs auf und denkt, man wäre in einer anderen Welt: Mittelerde. Die Innenseite des Einbandes ziert eine Karte des Ruhrgebiets der damaligen Zeit. In einem ähnlichen Stil wie die Tolkien-Landschaft gezeichnet, erinnert die Karte zunächst an jene fantasievolle Welt voller Fabelwesen und geheimer Orte. Doch im Grunde ist das Prinzip auch auf das Buch übertragbar: Das Revier besteht aus vielen Orten und Landschaften, die selbst alteingessene Ruhrpott’ler wenig kennen, geschweige denn die Geschichte verfolgt haben. Auch spezielle Tierarten gibt es im Ruhrgebiet, die man mit Fabelwesen durchaus gleichsetzen kann. Nun aber genug von Vergleich zur Fantasiewelt Mittelerde und zurück ins wahrhaftige Ruhrgebiet und seinen Schönheiten.
Ein Doppelband erklärt das Ruhrgebiet
Der erste Band des Buches „Das Ruhrgebiet – Ein historisches Lesebuch“ fängt natürlich von ganz vorne an. Über Frühindustrialisierung bis hin zur Schwerindustrie, ihre Folgen und Bedeutung für die damalige Zeit ist das Buch ein echtes Highlight für jeden Historiker. Der erste Band verfolgt die Fakten bis zur Besetzungszeit von 1924. Egal ob Hobby-Historiker oder Fachexperte, Klaus Tenfelde, Thomas Urban und weitere Autoren haben sich wirklich allergrößte Mühe gegeben, so viel wie möglich zusammen zu tragen und einen authentischen Einblick in frühere Verhältnisse und Lebensgeschichten zu bieten. So ist das Werk an sich eine Quellensammlung, die nur durch Einführungstexte der jeweiligen Epochen unterstützt wird. In einer angenehm zu lesenden Art und Weise werden diese den Leser über jenes Zeitgeschehen informieren. Verständlich und aufgelockert durch Verwendung heutiger alltäglicher Anglizsmen ist das Buch gut zu lesen. Zum anderen besticht das Buch durch echte Personenberichte von Bürgern aus Jahren wie 1895 oder 1925, die für einen intensiven Einblick sorgen. Schön sind auch die Begriffserklärungen, jeweils am unteren Rand der Seite. Denn, wenn man bedenkt wie sehr sich Sprache, Kultur und soziale Strukturen von damals bis heute verändert haben, weiß so manch einer vielleicht nichts mehr mit dem Wort „Principal“ anzufangen.
Deutliche historische Entwicklungen werden transparent
Besonders im zweiten Band wird die Entwicklung des Ruhrgebiets deutlich. Wieder einmal öffnet man das Buch und entdeckt eine Landkarte, jedoch schon moderner als die zuvorige. So lässt sich schon jetzt eine Weiterentwicklung festmachen. Auch schon die Kapitelüberschriften im Index verraten, dass der zweite Band historisch gesehen noch spannender zu werden verspricht. Angefangen mit der Weimarer Republik in Bezug auf das Revier rund um Bochum, Dortmund und Oberhausen, endet der zweite Band mit dem Kapitel über die Kulturhauptstadt 2010. Auch hier werden Schreibstil und -art beibehalten. Obwohl, beide Bände kaum Fotos und Abbildungen enthalten, bleibt es dennoch spannend und interessant. Noch mehr echte Berichte, beispielsweise von Bochumer Schülern und Freiherren, fließen in das Gesamtwerk des historischen Lesebuchs ein. Das Ruhrgebiet ist neben London und Paris der größte Städte- und Industrieballungspunkt in ganz Europa. Es gibt besonders heute viel zu sehen und zu erleben im Ruhrgebiet. Und gerade die Nähe zu alten Zeiten wird durch Denkmäler, Erinnerungsstätten und einfach Zechengebäude deutlich.
Aktuell bis in die heutige Zeit
Doch eins noch möchte die Quellensammlung ebenso vermitteln: Früher war nicht alles schlecht! Die Arbeiter, der Bergbau, die ärmlichen Verhältnisse, der Schmutz – das alles sind altbekannte Tatsachen, doch das Ruhrgebiet hat mehr zu bieten! Kulturelle Ereignisse und Menschen, man denke an Herbert Grönemeyer, Sänger Sasha oder Hennes Bender, die die heutige Zeit bestimmen, sind ebenso festgehalten worden wie jegliche Fakten. Manch einem könnte es passieren, dass er durch „Das Ruhrgebiet – Ein historisches Lesebuch“ selbst einiges aus der persönlichen Familienhistorie erschließen kann und Dinge klarer erscheinen. Geendet wird mit einer Übersicht über aller Ruhrgebietskreise, die nun eher an den Bus- und Bahnverkehrsbereich des VRR anstatt an Tolkiens „Mittelerde“ erinnern. Doch gerade durch solch echte Dokumente ist „Das Ruhrgebiet – Ein historisches Lesebuch“ ein Muss für jeden Geschichts- und Ruhrgebiets-Liebhaber. Ein dicker zweibändiger Schmöker voll mit Informationen und wirklich Wissenswertem über den allseits beliebten „Pott“.
„Das Ruhrgebiet – Ein historisches Lesebuch“
Als Doppelband im Schuber erhältlich
Insgesamt 1106 Seiten
Juli 2010, Essen
Hardcover, Klartext Verlag
ISBN 978-3-8375-0286-2
Preis: 44,00 €
(anna-lisa konrad)