Der amerikanische Comicautor und -zeichner Frank Miller gilt als Meister seines Fachs. Seine Werke haben den Comic- und Graphic Novel-Bereich auf Jahre geprägt, boten neue Perspektiven auf bekannte Serien oder Charaktere, Millers Stil setzt bis heute geltende Standards. Hollywood verfilmte mit „300“ und „Sin City“ gleich zwei Mammutwerke des heute 54-jährigen aufwendig, pompös und vor allem stilsicher. Zu den Gerüchten um Fortschritte bei der Preproduction des zweiten „Sin City“-Teils kommt eine weitere erfreuliche Nachricht: Seit Frühjahr 2011 legt der Cross Cult Verlag die siebenbändige Graphic Novel-Reihe in regelmäßigen Schüben neu auf, inklusive frisch gestaltetem Cover: Teil 1 „Stadt ohne Gnade“ und Teil 2 „Eine Braut für die man mordet“ (jeweils 22 Euro) schlagen ein wie eine Ästhetik-Bombe.
[ruhr-guide] Brachial, knallhart und direkt erzählt Miller vom Überlebenskampf zweier Haudegen, die sich in Sin City, einem fiktiven amerikanischen Moloch voller Verbrechen und Korruption, mit übelsten Gesellen herumschlagen. Die düstere Stimmung lässt sich häufig in den visuell faszinierend gestalteten Zeichnungen Millers gegenlesen. Da er ausschließlich mit Schwarz und Weiß arbeitet und damit den Kontrast zum erzählerischen Stilmittel „befördert“, etabliert der Zeichner schon auf den ersten Seiten diesen unverkennbaren Stil, der sich über alle Teile der Reihe ausdehnt.
Sin City – Stadt der Sünde
Namengebend und als zentraler Handlungsort etabliert, fungiert das fiktive Sünden-Moloch „Sin City“ in einer düsteren Version der Gegenwart als Spiegelbild der agierenden Figuren. Gewalt, Verbrechen, Korruption, Prostitution – es geht um die abartigen Abgründe des menschlichen Daseins, die Verkörperung der Unmoral. Inmitten dieser Brutstätte für allerlei Widrigkeiten versuchen die Figuren, deren Geschichte Miller erzählt, ihr kleines Leben auf die Reihe zu bekommen. Nicht nur optisch ringt Frank Miller dem Noir-Genre Einiges ab. Auch inhaltlich ist dessen pessimistische Grundstimmung als Leitthema etabliert, auch die Figurenkonzeption bringt viele Verweise auf die Filme und Romane der schwarzen Serie mit, die Detektiv- und Kriminalfilme zwischen Ende der 1930er bis Mitte der 50er mit Werken wie „Der Maltester Falke“ oder „Tote schlafen fest“ zum unverwechselbaren Klassiker werden ließen. Noir ist in der heutigen modernen Medienwelt etabliert, „Sin City“ ist der beste Beweis für die spannenden Ausprägungen, welche die Stilrichtung erfahren hat.
Verbrechen, Korruption und Perversion
Während des ersten Bandes kommt Haudegen Marv den Machenschaften eines pervers-obsessiven Killers auf die Schliche, der von ganz oben gedeckt wird. In Buch zwei findet sich Privatdetektiv und Fotograf Dwight McCarthy im verstrickten Milieu um eine sagenhaft-hübsche, aber tod-gefährliche femme fatale wieder. Jede Figur spielt ihre eigene Geschichte, doch überschneiden sich in aller Regelmäßigkeit die Handlungsstränge, so dass alle Bände miteinander verzwickt sind, dennoch getrennt voneinander verstanden werden können. Freilich entfaltet sich die gesamte Wucht der Gewalt-Oper erst durch das Gesamtwerk, doch bietet jede einzelne Episode neben der spannungsgeladenen Story vor allem visuelle Reize für des Lesers Auge.
Band 1: Stadt ohne Gnade
Wer den Kinofilm von 2005 kennt, kennt Marv. Den von Mickey Rourke („The Wrestler“) gespielten Charakter vergisst man so schnell nicht mehr. Gleiches gilt für die literarische Vorlage: Frank Miller gestaltet den bulligen Haudrauf eckig und kantig, finster und lässt ihn mehrfach an seinen seelischen Abgründen ankommen. Nach einer gemeinsamen Nacht mit der Prostituierten Goldie findet er ihren Körper leblos vor. Nicht nur der Verlust des einzigen Menschen, der ihm jeh Wärme entgegenbrachte, nagt an Marv. Auch das der Mörder ihm die Tat in die Schuhe schieben will, kratzt gewaltig am wackeligen Nervenkostüm des Anti-Helden. Getrieben vom vehementen Willen, den Mörder zur Rechenschaft zu ziehen, deckt er eine weitreichende Verschwörung auf, die die tief verwurzelte Korruption der Stadt aufsteigt und einen der perversesten Killer der Comic-Geschichte deckt. Doch wenn Marv einmal in Rage kommt, sollte man ihm besser nicht in den Weg treten… Hier finden Sie eine Leseprobe zu Band 1: Stadt ohne Gnade.
Band 2: Eine Braut, für die man mordet
Frank Miller gönnt dem Leser keine Pause, rasant geht es weiter: Fotograf Dwight McCarthy trifft nach Ewigkeiten der Trennung auf Ava, der Liebe seines Lebens. Viele Jahre zuvor endete ihre Beziehung, lange kreiste die schöne aber zwielichtige Frau in seinem Kopf. Und gerade als er die Gedanken an sie in die hintersten Regionen seines Hirns verdrängen konnte, steht sie vor ihm, lässt ihre weiblichen Reize spielen und offenbart ihre dunkelsten Pläne. Doch wie passt Dwight in das heikle Spiel und kann er Ava endlich vertrauen oder spielt sie nach wie vor mit gezinkten Karten. Mit „Eine Braut, für die man mordet“ erwartet den Leser ein klassisches Katz-und-Maus-Spiel. Wem vertraut werden kann ist genauso unklar wie die wahren Absichten der Figuren. Mehr als einmal wendet sich das Blatt und lässt die Hypothesen des Lesers ein ums andere Mal ins Leere laufen. Der Krimi-Thriller-Mix begeistert auf ganzer Linie, fesselt bis zum gewohnt düster betonten Ende. Abermals überzeugt der nahezu komplett aus Kontrasten bestehende Zeichenstil, der dem Storytelling in keinster Weise in die Quere kommt, sondern zu dessen Teil verschmilzt. Gespannt wandern die Blicke auf Band drei und vier!
(mo)
Fotocredit: Cult Cross Verlag