Eisenbahnfreunde aufgepasst: Das Buch „Übertage im Revier“ von Udo Kandler liefert ein Stück Eisenbahngeschichte! Gemäß seinem Untertitel „Die Eisenbahn im Ruhrgebiet der 1950er und 1960er Jahre“ beleuchtet das Buch mit seinen vielen aussagekräftigen Fotografien die Phase des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg beispielhaft am Thema Eisenbahn. Dabei stehen nicht nur Züge und Bahnstrecken allein im Mittelpunkt, auch die Menschen der Zeit, die etwa an Bahnsteigen warten oder in Schaltzentralen arbeiten, geraten in den Fokus.
[ruhr-guide] Untertage im Revier wurde in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts fleißig Kohle abgebaut, um die Wirtschaft anzutreiben, die im Ruhrgebiet definitiv einen ihrer stärksten Motoren fand. Doch auch übertage wurde Schwerstarbeit geleistet, in Stahlwerken und andern Industriefabriken gab es viel zu tun nach dem Krieg. Um die Rohstoffe für das Wirtschaftswunder von A nach B zu transportieren, war eine logistische Meisterleistung vonnöten, die nur ein Verkehrsmittel bewerkstelligen konnte: die Eisenbahn. Aber auch für den Personenverkehr war sie bedeutsam und die Deutsche Bahn entwickelte immer neue Fahrzeuge, die als Prestigeobjekte den Stolz der jungen Bundesrepublik verkörperten.
Geschichte im Bild
Eisenbahnexperte Udo Kandler hat für „Übertage im Revier“ die schönsten und aussagekräftigsten Fotografien aus dem Bildarchiv der Eisenbahnstiftung ausgewählt und jedes ausführlich beschrieben und in den Gesamtkontext des Buches eingebunden. Die Fotografien sind großformatig und in der Regel schwarz-weiß, obwohl sich auch einige Farbfotos finden. Die Bilder zeigen ganz verschiedene Aspekte der Eisenbahngeschichte der Mitte des 20. Jahrhunderts auf, Zerstörung und Wiederaufbau werden genauso abgebildet wie moderne Errungenschaften. Die Kulissen sind einerseits mit Zechen und Hochöfen im Hintergrund stark industriell geprägt, zeigen aber andererseits auch die für das Ruhrgebiet so typische Verknüpfung von Industrie und städtischem Leben der Menschen. Betriebswerke, Bahnhöfe und -übergänge bekommt der Leser ebenso zu Gesicht wie kurios anmutende Überführungen von Zügen via Schwertransport über die Straße oder einen Pappmachéelefanten, der mittels eines Rollschemels über die Schienen transportiert wurde.
Immer wieder rückt in „Übertage im Revier“ auch der Mensch, der sich im Hintergrund zeigt oder der ziellos am Bahnsteig rumlümmelt, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Staunen und Neugier bei der Betrachtung neuer Hochleistungszüge, die Arbeit in Stellwerken oder an Gleisen, Warten an Bahnübergängen mit geschlossener Schranke – die Liste der porträtierten Eindrücke von verschiedenen Personen ist lang. Wenn man ganz genau hinschaut, entdeckt man immer wieder Dinge oder Aktionen im Hintergrund die einem regelrecht abwegig erscheinen. Ein Beispiel: Auf einem Foto aus der Umgebung des Bochumer Hauptbahnhofs von 1951 ist im Hintergrund ein echtes Kamel mit einem wohl nicht ganz so echten Kameltreiber zu sehen, dass zwei überdimensionale Pepsi-Cola-Flaschen auf dem Rücke trägt. Die Werbeaktion scheint aber nur bei einigen Passanten Aufmerksamkeit zu erregen.
Fazit: „Übertage im Revier“ ist für den Eisenbahnler ein echtes Muss! Aber selbst wenn man sich nur für die Geschichte des Ruhrgebiets ganz allgemein interessiert, kann man in dem Bildband viele spannende Einblicke, versetzt mit einer großen Portion Lokalkolorit, bekommen. Hilfreich ist auch das einleitende Essay von Kandler mit dem Titel „Ein Wirtschaftsraum im Umbruch“, denn es liefert wichtige Hintergrundinformationen zum Verständnis des Buches.
Übertage im Revier
„Die Eisenbahn im Ruhrgebiet der
1950er und 1960er Jahre“
von Udo Kandler
Klartext Verlag Essen 2012
Hardcover, 128 S.
zahlreiche farbige Abbildungen
ISBN: 978-3-8375-0470-5
24,95 EUR
Bild: Klartext Verlag