Von der Kleingartengartengeschichte zu Geschichten aus dem Kleingarten, vom Mann der ersten Stunde zum jungen Gemüse, vom Kinder-Garten bis zum entführten Garten- zwerg: Das Buch von Christoph Mulitze und Christoph Papsch liefert Alltägliches und Skurriles sowie wundervolle Fotografien aus den Schrebergärten des Ruhrgebiets. Denn der Schrebergarten ist für das Revier so typisch wie Fußball, Taubenschlag und Trinkhalle.
[ruhr-guide] Schrebergärten sind längst kein Relikt aus vergangenen Tagen mehr, das Kleingärtnern ist wieder in und führt besonders junge Leute raus in die Parzelle. Wußten Sie eigentlich, dass es tatsächlich einen Herrn Schreber gab? „Die Kleingärten, wie wir sie heute kennen, haben mit Dr. Moritz Schreber“ allerdings nichts mehr zu tun, war das Ziel des Leipziger Arzt und Pädagogen doch eher die Erziehung der Kinder und weniger das Gärtnern. Zu Beginn zeigt „Übern Zaun geguckt“ wie sich die Gärten von ersten Anlagen für privilegierte Schichten im Mittelalter über die erste zusammenhängende, organisierte Kleingartenanlage im Ruhrgebiet bis zum Boom des Schrebergartens nach dem Zweiten Weltkrieg entwickeltet haben.
Gärtnern, Bauen, Freundschaften schließen
Worum sich das Leben im Kleingarten damals drehte und noch heute dreht, wird im Buch „Übern Zaun geguckt. Geschichten aus Schrebergärten“ durch exzellente Fotos und bisweilen amüsante Texte anschaulich. Natürlich ist ein jeder Kleingärtner auch immer Gärtner, wie Francesco Cannicci. Ob Bohnen, Sonnenblumen oder Kürbisse – dieser Mann züchtet in seinem Garten Rekordver- dächtiges heran und hat damit schon das eine oder andere Siegertreppchen erklommen. Die Herausforderung der anderen Art sucht Erhard Sirach in seinem Garten in Moers, denn wenn seine Nachbarn Erdbeeren oder Äpfel ernten, sind es bei ihm Kiwis, die er gern zu Likör verarbeitet. Auch eher exotisch geht es im Garten von Manfred Lesny in Duisburg zu: Hier werden Zitronen, Orangen oder Feigen gezüchtet.
Auch Horst Meier ist ein wahrer Naturfreund. Doch während sich seine Nachbarn im Kleingarten Gut Grün am Mattlerbusch eher auf Obst und Gemüse spezialisiert haben, ist er als Vogelstimmen- Meier weit über die Duisburger Stadtgrenzen hinaus bekannt.
Pioniere und Generationswechsel
Es gibt immer viel zu tun im Kleingarten, die Parzelle will blühen und sich von der besten Seite präsentieren. Vor allem wenn man wie Luise Schick hier wohnt, „und das ganz legal. Denn sie gehört einer kleinen Minderheit an: Vermutlich kaum mehr als drei Dutzend Kleingärtner im gesamten Ruhrgebiet genießen das Recht, in ihrem Häuschen in der Kleingartenanlage zu wohnen“. Die Ausnahmegärtnerin ist nur durch eine Doppelseite vom „Mann der ersten Stunde“ getrennt. Fritz Klagge hat schon als zehnjähriger Junge die Vereinsgründung seines Kleingartens beobachtet und als Ehrenmitglied hat er eine Menge zu erzählen.
Nun ist schon die junge Generation Kleingärtner aktiv, wie Familie Weinert. Der 29-jährige entschied sich vor allem seiner kleinen Tochter Emilia wegen für den Garten. Und auch wenn für Hilmar von den Bussche und Iska Schäfer der Kleingarten zunächst nur die „zweitbeste Lösung“ war, ein wenig Grün ins Leben zu holen, sind sie heute echte Schrebergärtner geworden und sorgen mit ihrem Nachwuchs für Leben auch zwischen den Parzellen.
Fazit: Für ihr Buch haben Christoph Mulitze und Christoph Papsch in eineinhalb Jahren ca. 600 Gärten besucht. Die Akribie ihrer kleinen Forschungsreise ist in den Geschichten der Menschen und vor allem in den hervorragenden Fotografien erkennbar. Mit „Übern Zaun geguckt. Geschichten aus Schrebergärten“ zeichnen die Autoren ein typisches Bild vom Ruhrgebiet und zeigen dabei, wie sich dieses typische Bild verändert.
Christoph Papsch, Christoph Mulitze
Übern Zaun geguckt
Geschichten aus Schrebergärten
Klartext Verlag, Essen 2006
192 Seiten, durchgehend farbig, Festeinband, 19,90 Euro, ISBN 3-89861-395-X
(sl)