In der Hartmut und ich-WG ist so allerhand los. Hartmut verlegt seine Online-Lebensberatung ins echte Leben und gründet das „Institut für Dequalifizierung“ um hochgebildete aber arbeitslose Akademiker für den Malocher-Job fit zu machen. Oliver Uschmanns Buch aus der inzwischen gemischten WG in Bochum trifft den Nagel auf den Kopf. Denn welcher Musikwissenschaftler will denn schon Rammstein-Songs grölen?
[ruhr-guide] In der Pommesbude gegenüber gibt es auch keinen Job für einen arbeitslosen Akademiker – Hartz IV ist angekommen in der schrägen Männer-WG, in der inzwischen auch Susanne, Hartmuts Freundin, als dritter Mann wohnt und in der umgebauten Scheune Motorräder repariert. Mit Bernd allerdings verändert sich alles in diesem kleinen Universum, Hartmut sattelt kurzerhand um von Online-Lebensberatung zum realen Bewerbungscoaching, bekommt anstatt des Stellensuchenden einen Job in der Medienauswertung und gründet das „Institut für Dequalifizierung“.
Nach dem großartigen Erstlingswerk „Hartmut und ich“ legt Oliver Uschmann, Redakteur von Visions und Galore, Theorieadministrator, ehemaliger Packer bei UPS und Punkrocksänger, mit „Voll beschäftigt“ nach. Über 30.000 Mal wurde das Debüt verkauft und nun geht es in die zweite Runde, in den alltäglichen Wahnsinn einer Ruhrgebiets-WG zwischen Aktionismus und Irrsinn. Jetzt wird nicht mehr „ironisch gebrochen“ sondern „dequalifiziert“!
Mitten im Revier, mitten ins Hirn
Ab der ersten Seite ist der Leser mittendrin. Im Ruhrgebiet, in Bochum, in der berüchtigten Hui-WG, deren Bewohner es im Uschmann-Debüt „Hartmut und ich“ schon nicht leicht hatten. Nun spannt Hartmut seine Mitbewohner in seine Tätigkeit ein. Während Susanne Ingenieure zu Motorradschraubern umschult, bekommt Hartmuts Mitbewohner den Auftrag, aus dem Musikwissenschaftler und Altphilologen Sebastian einen waschechten Malocher zu machen. Doch wie treibt man einem Schöngeist die Bildung aus, wie macht man einem für die mittlere Dienstleistung hoffnungslos überqualifizierten Akademiker klar, dass ein Malocher nach dem Aufstehen nicht die Fünf Tibeter-Übung praktiziert und schon gar keinen Vollwertteller zubereitet?
Wahnwitz als Methode
Also lernt der amüsierte Leser, wie man sich im Ruhrgebiet als echter Malocher verhält, dass nach der Schicht Bier getrunken und mit den Kollegen über Fußball gefachsimpelt und dass Small Talk am besten auf dem Trödelmarkt an der Kemnade erlernt wird. Die unglaublichen und bisweilen wahnwitzigen Begebenheiten in „Voll beschäftigt“ gehören einfach in den Ruhrpott wie Pommes zu Mayo. Da verliebt sich Hartmuts Mitbewohner unsterblich am Kemnader See in eine schöne Malerin. Da treffen Hartmut und sein Mitbewohner beim entspannten Demogucken bei Jochen in Dortmund auf den Dauerpraktikanten Mario, der wiederum zum Stagediver aus dem vierten Stock wird. Da werden aus den WG-Freunden plötzlich bittere Faustkämpfer, als sie zwei Beamte vom Ordnungsamt von der Besichtigung ihres Wohnhauses abhalten wollen. Und gerade als alles seinen halbwegs geordneten Gang geht, mutiert Hartmut plötzlich zum Literaten, rasiert sich eine Glatze und gewinnt als unbeschriebenes Blatt in Klagenfurt den hochdotierten Bachmann-Preis. Und dann geht es eigentlich erst richtig los.
Wer nicht lesen mag: Ein Hörbuch gibt es natürlich auch, vorgelesen von Hartmut und ich-Fan Bela B. Felsenheimer von Die Ärzte und Urpunk Trini Trimpop, Gründungsmitglied der Toten Hosen – und natürlich Oliver Uschmann.
Alles in allem: Ein grandioses Werk! Dieses Buch ist Ruhrgebiet pur. Wer „Hartmut und ich“ gelesen hat, darf auf „Voll beschäftigt“ auf gar keinen Fall verzichten. Mehr zur „Hui-WG“ findet man ürigens auch im Netz: www.hartmut-und-ich.de
Oliver Uschmann: Voll beschäftigt
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, Oktober 2006, 320 Seiten, Broschur, 8,95 Euro, ISBN 3-596-17125-3
(sl)