Der russische Choreograph Boris Eifman, der Gründer und Leiter des „Eifman Ballet St. Petersburg“, zählt zu den leidenschaftlichen Verfechtern des sogenannten „Ballett-Theater“. In seinen international bejubelten Inszenierungen setzt er sich mit klassischen Vorlagen auseinander, interpretiert diese aber aus der Sicht der Moderne. Das Ergebnis ist des häufigen umstritten, aber nie langweilig. Am 4. Juni feierte sein Werk „Onegin“ bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen Premiere.
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In seinem Stück, das bereits in mehreren Ländern zu sehen war, nimmt sich Eifman des wohl berühmtesten Werkes der russischen Literatur, des Romans in Versen „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin (1799–1837) an.
Er siedelt die Geschichte in der jüngsten Vergangenheit an, nämlich in den Zeiten rund um die gescheiterte Konterrevolution von 1991. So kann er den Aufstieg der Hauptheldin aus den einfachen ländlichen Verhältnissen in die städtische Raffinesse und gleichzeitig den Übergang Russlands von der post-sowjetischen Armut zu seinem aktuellen von Oligarchie und Neureichtum bestimmten Realität dokumentieren.
Dabei greift Eifman auf die Musik von Tschaikowsky zurück, bedient sich allerdings nicht nur der Melodien aus der gleichnamigen Oper, sondern verwendet die Ausschnitte aus dem ersten Klavierkonzert und „Die Jahreszeiten“, sowie die Rockmusik von Alexander Sitkovestsky.
Brücke als Kulisse
Der Bühnenbildner Zinovy Margolin schafft mithilfe des Lichts eine minimalistische Kulisse, in deren Mittelpunkt die illuminierbare Vantov-Brücke steht: davor und darunter spielen sich die von Eifman äußerst frei interpretierten Ereignisse des Romans ab.
In der Projektion des Mondes, einer runden verschiedenfarbig leuchtenden Kugel, sieht der Zuschauer TV-Bilder vom Ende des Jahrhunderts in Russland, welche die damalige gesellschaftliche Zerrissenheit demonstrieren sollen.
Eigenwillige Interpretation des Romans
Wie es ihm häufig Eigen ist, verzichtet Eifman weitgehend auf Zwischentöne zugunsten der zuweilen akrobatisch anmutenden Gruppen- und Kampfszenen. Manchmal vermisst man die Subtilität, von der die Vorlage geprägt ist. Aber die äußerst emotionale Choreografie reißt die Tanzliebhaber mit. Die außergewöhnliche Bewegungssprache, die Eifman unter anderem berühmt gemacht hat, entfaltet sich in „Onegin“ vollends. Die Tänzer leisten dabei hervorragende Arbeit: die fabelhafte Leistung von Oleg Gabyshev als Titelheld sei dabei gesondert erwähnt.
Alles in allem war es eine gelungene und vor allem längst fällige Premiere im Rahmen der Ruhrfestspiele , die die Freunde des klassischen Tanzes glücklich gemacht haben sollte.
Ruhrfestspiele 2012 „Onegin“
Ruhrfestspiele Recklinghausen
1. Mai bis 16. Juni 2012
www.ruhrfestspiele.de/
Bildquelle:© V. Baranovsky,© A. Sazonov