Rottstraße, Essen (um 1897), Foto: Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum; Ernst Flügge

Kleine Geschichte der Stadt Essen

Von der Stadtgründung zur zerstörten Industriestadt: Das heutige Erscheinungsbild der Stadt Essen ist noch keine 50 Jahre alt und gründet sich auf den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg: 94 % der Kernstadt und 60 % des gesamten Stadtgebietes waren zerstört.

 Rottstraße, Essen (um 1897), Foto: Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum; Ernst Flügge

[ruhr-guide] Die Geschichte der Stadt Essen beginnt im Jahr 851 mit der Gründung des Frauenstifts Essen durch Bischof Altfried von Hildesheim. In das Stift wurden ausschließlich Töchter des sächsischen Hochadels aufgenommen, um sie im christlichen Glauben zu erziehen, wobei sie kein Gelübde abzulegen hatten und nicht nach einer Ordensregel lebten. Im gleichen Jahr erfolgte die Grundsteinlegung des Münsters, das am 8. Juli 870 geweiht wurde. Die heutige Gestalt der Münsterkirche begründet sich ebenfalls auf den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg; 1943 brannte das Münster durch einen Bombenangriff zum 3. Mal in seiner 1000-jährigen Geschichte aus.

Noch vor der offiziellen Gründung Essens, zwischen 796 und 800, errichtete der spätere Bischof Liudger von Münster in Werden ein Kloster, das Missionare für die Sachsen heranbilden sollte. 801 begann der Bau der heutigen Propsteikirche St. Ludgerus.
Eine Reihe der umliegenden Dörfer entwickelten sich im Laufe der Zeit zu den heutigen Stadtteilen von Essen, so können zu diesem frühen Zeitpunkt der Stadtgeschichte Altenessen, Altendorf, Karnap, Heisingen und Fischlaken bezeugt werden. Dokumenten zufolge hielt König Otto I. im Mai 938 im heutigen Steele einen Hoftag ab und in Rellinghausen wurde im Jahr 998 ein Jungfernstift für die Töchter des niederen Adels gegründet.

Kohle und Dinnendahl

Von der offiziellen Gründung Essens im 9. Jahrhundert bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich Essen lediglich von einer Marktsiedlung zu einer Mittelstadt entwickelt. Erst 1820 stieg die Einwohnerzahl Essens über 5.000; andere westfälische Städte wie z.B. Dortmund, Soest und Münster konnten zu diesem Zeitpunkt bis zu 17.000 Einwohner verzeichnen.
Anfang des 19. Jahrhunderts entsprach der Landschafts-zustand Essens im weitesten noch dem des Mittelalters; die Umgebung war durch große Agrar- und Waldzonen gekennzeichnet. Zu dieser Zeit hatte der Kohlen-abbau bereits an Bedeutung für die Region gewonnen. Auf dem heutigen Essener Areal befanden sich um 1800 schon 80 Stollenzechen. Aber auch die Geschichte des Kohlenabbaus in Essen ist schon sehr viel älter: im Jahre 1317 wurde in Essen zum ersten Mal bezeugt, dass man Kohle verwendete und 1397 hatte man in Werden mit dem Abbau begonnen. Langsam kam auch der Kohlenhandel in Gang, als gegen Ende des 15. Jahrhunderts Essener Kohle zunächst über Duisburg nach Wesel und bald auch nach Köln und Düsseldorf verschifft wurde. Dass der Kohlenabbau erst am Übergang ins 19. Jahrhundert so richtig in Schwung kam hatte mehrere Ursachen:
1. Mit der Ausbreitung der Dampfmaschine und der Eisenbahn stieg unweigerlich auch der Bedarf an Kohle; die Industrie verbrauchte schon immer mehr Kohle als die Privathaushalte.
2. Die Transportverhältnisse veränderten sich zu Gunsten des Kohlentransportes. Vor allem ist die Schiffbarmachung der Ruhr an dieser Stelle zu nennen, wodurch der Kohlentransport von 1780 bis 1800 um das Vierfache anstieg.
3. 1808 hielt dann die sogenannte Feuermaschine Einzug in den Essener Bergbau. Diese Art Dampfmaschine wurde von Franz Dinnendahl, dem Stammvater der Essener Schwer-industrie, für die Zeche Wohlgemuth bei Kupferdreh konstruiert, wodurch man in der Lage war mit Dampfkraft das Grundwasser abzusaugen und somit in größere Tiefen vorzustoßen.
Franz Dinnendahl, 1775 in Horst bei Steele geboren, gründete durch eine Kapitalhilfe aus dem Hause Krupp 1807 eine Maschinenfabrik mit 60 Arbeitern. Schon bald erhielt er Aufträge für Dampfmaschinen an Napoleon, der bei dem Bau eines Forts bei Wesel Probleme mit dem Grundwasser hatte. Diesem Auftrag folgten weitere. 1818 erregte Dinnendahl großes Aufsehen, als er seine Maschinenfabrik mit einer Gasbeleuchtungsanlage ausstattete. 1821 brannte die Fabrik nieder und der Betrieb wurde in die Gießerei in Huttrop verlegt. 1826 starb Dinnendahl.

Zufahrtsbrücke mit Straßenbahn und Wartehallen, um 1912, Foto: Ruhr Museum; Stadtbildstelle Essen

Stahl und Krupp

Neben dem aufstrebenden Bergbau, begann sich nun auch ein zweiter Industriezweig in Essen zu entwickeln: Friedrich Krupp gründete 1812 eine Fabrik zur Fertigung englischen Gußstahls und der daraus resultierenden Fabrikate. Diese Fabrik in Altenessen bestand aus einem Schmelzofen und einem Hammergebäude. Krupp hatte jedoch mehr Geld in diese Fabrik gesteckt, als er durch den Verkauf von Eisen-werkzeugen einnahm. Dieser Fehlschlag findet seine Ursache vor allem darin, dass England seit 1814 den Kontinent mit billigen Eisen- und Stahlwaren von guter Qualität überschwemmte, und Krupp bei dieser Konkurrenz salopp gesagt, kein Bein an die Erde bekam. Die Familie Krupp kam bereits im 16. Jahrhundert nach Essen. 1587 ließ sich Arndt Krop mit seiner Familie in Essen nieder. Mit dieser holländischen Kaufmannsfamilie kamen, ebenfalls aus Gendringen in Holland, die Huyssens und Klockes, die bald mit- und untereinander verschwägert und die einfluß-reichsten Geschlechter der Stadt waren. Als überzeugter Lutheraner war er auf der Flucht vor dem Katholizismus nach Essen gekommen. Arndt Krop handelte mit Kolonial-waren, die er über Holland aus Übersee bezog. Mit der Zeit spezialisierte er sich auf Eisenwaren, begann Nägel zu schmieden und trat dem Schmiederat bei. 1624 starb er als einer der wohlhabendsten Bürger Essens und hatte den finanziellen Grundstock für die Unternehmungen der folgenden Generationen seiner Familie gelegt.
In der 16. Krupp-Generation hatte Friedrich dann zu Beginn des 19. Jahrhunderts beinahe dieses gesamte Kapital aufgebraucht. Auch ein Schmelzwerk in der Nachbarschaft der Steinkohlezeche „Sälzer und Neuack“, das er 1819 errichtete, brachte nicht die gewünschten Gewinne. Nach seinem Tod 1826 übernahm sein Sohn Alfred als 14-jähriger die Gußstahlfabrik mit 7 Arbeitern und 10.000 Talern Schulden. 1826 war Alfred Krupp noch ein Kind ohne Schulabschluß, und wohnte in einem Aufseherhäuschen der Fabrik. 1887 gehörte ihm die größte Stahlfabrik der Welt, die 19 000 Arbeiter beschäftigte, jährlich 197.000 Tonnen Stahl und 570.000 Tonnen Kohle produzierte, und er residierte in einem Palast, der „Villa Hügel.“ Alfred Krupps Fabriken prägten das Gesicht der Stadt; man war stolz auf die rauchenden Schornsteine. Als Arbeitgeber war er als fürsorglicher, aber strenger Vater bekannt. Bisher hatte noch kein Unternehmer seinen Arbeitern freiwillige Sozialleistungen gewährt; er rief beispielsweise eine Betriebskrankenkasse ins Leben.

Politische Entwicklung

Auch aus politischer Sicht begann sich das damalige Gebiet Essen zu entwickeln. Von 1808 bis 1813 gehörten Essen und Werden zu dem von Napoleon geschaffenen Groß-herzogtum Berg. Im November 1813 marschierten die Preußen in Essen und Werden ein. 1815 wurden Essen und Werden Grafschaften, die vom Wiener Kongreß formell Preußen zugesprochen wurden. Anders als Bochum und Gelsenkirchen, die in der preußischen Provinz Westfalen lagen, gehörte Essen bis 1945 politisch zum Rheinland, da Essen und Werden 1816 in die preußischen Provinz Jülich-Cleve-Berg eingegliedert waren.
1823 zeichnete sich ein Anstieg der Einwohnerzahl ab: von insgesamt 25.000 Einwohnern lebten ca. 28 % im inneren Siedlungsbereich, das, was wir heute Innenstadt nennen, 20 % lebten im Norden und der Großteil der Bevölkerung im Süden und Südosten.

Industrialisierung

Mit dem Einsetzen der Industrialisierung veränderte sich das Stadtbild radikal. Bis 1840/50 war die Stadt noch von der mittelalterlichen Architektur geprägt, nun fielen die Stadtmauern. Essener Rathaus, 1889, Foto: Heinrich Fleischhauer; Fotoarchiv Ruhr MuseumDie Stadtbefestigung von 1244 war 1833 wohl schon sehr lückenhaft und wurde seitdem regelmäßig als Stein-bruch für die Pflasterungen neuer Straßen verwendet. 1864 wurde der Heckingturm als letzter Turm der ehe-maligen Stadtbefesti-gung abgebrochen. Zudem kann zu diesem Zeitpunkt von einer Privatisierung der Stadt gesprochen werden, d.h., dass die Altstadt eine Geschäftsfunktion bekam.
Ende 1846 gab es in der Innenstadt 73 Schneider,
65 Schmiede und Schlosser, 57 Schuhmacher, 56 Schankwirthe, 55 Bäcker und Conditoren, 30 Metzger, 20 Bierbrauereien. Demgegenüber stand z.B. eine Buch-handlung. Außerdem befanden sich hier 3 Bergwerke, eine Gußstahlfabrik und eine Eisengießerei. Das Handwerk und die lebensmittelproduzierende Gewerbe hatten sich also eher in der heutigen Kernstadt und die Industrie hauptsächlich in den heutigen Stadtteilen angesiedelt.
Eine Vielzahl der Zechen stellten bis 1850 ihren Betrieb auf den Tiefbau um; sie waren hauptsächlich nördlich der Altstadt zu finden. Die Zeche „Zollverein“ im Nordosten zwischen Stoppenberg und Katernberg, die bald eine der größten Zechen im Revier werden sollte, begann ab 1851 mit dem Tiefbau. Daneben entstanden in Borbeck eine Zinkhütte, und Eisenhütten in Bergeborbeck, in Hinsbeck (heute Kupferdreh) und in Steele.

Eisenbahn

Zu dieser Zeit waren die Essener Eisenbahnverbindungen noch sehr dürftig. Es gab zwei große Eisenbahnnetze: die Bergisch-Märkische-Eisenbahn, die z.B. ab 1855 die Strecke Dortmund-Soest eröffnete und die Köln-Mindener-Eisen-bahn, die seit 1845 Köln und Düsseldorf miteinander verband. 1847 bekam Essen einen ersten Zugang an das Fernstreckennetz der Köln-Mindener-Eisenbahn, der sich allerdings auf die Station „Bahnhof Essen“ in Altenessen beschränkte und drei Kilometer von der Stadt entfernt lag. Die Zechen und Eisenwerke kümmerten sich nun selbst um die dringend benötigten Bahnanschlüsse. Krupp schloss 1858 sein Fabrikgelände mit einem privaten Schienenweg an die Köln-Mindener-Strecke an und auch einige Kohlezechen legten eigene Anschlussbahnen. 1862 erhielt Essen dann erst einen stadtnahen Bahnhof vor dem Kettwiger Tor der Bergisch-Märkischen-Eisenbahngesellschaft. 1866/67 wurde das Bahnnetz durch eine dritte West-Ost-Linie der Rheinischen-Bahngesellschaft verdichtet. Essen hatte seit 1875 das dichteste Eisenbahnnetz des Ruhrgebietes mit mehr als 20 Bahnhöfen und zahlreichen Anschlussgleisen zu Zechen und Industriebetrieben. Diese Entwicklung führte zum Ende der Ruhrschiffahrt, da die günstigen Bahntarife von den Frachten nicht unterboten werden konnten. Das Ruhrtal wurde wieder zu einer stillen grünen Landschaft.

Wachstum und Zuwanderungen

Die Einwohnerzahl Essens hatte sich von 1861 bis 1871 durch die rasant wachsende Industrielandschaft auf 142.422 beinahe verdoppelt. Bereits 1861 waren von 11.067 Industriebeschäftigten 8.281 im Bergbau tätig und 2.569 in der Stahlindustrie, d.h. im wesentlichen bei Krupp. Im Stadtkern lebte 1871 immer noch der Großteil der Bevölkerung – der Stadtbezirk I, also die Innenstadt, wird bis 1910 die höchsten Einwohnerzahlen beibehalten – doch machte sich auch das Wachstum der Zahlen in den heutigen Stadtteilen bemerkbar. Die Bezirke, die sich als Industriestandorte zu etablieren begannen, waren schon dicht besiedelt; dies waren der Bezirk IV im Nordwesten, mit den heutigen Stadtteilen Schönebeck, Bedingrade, Frintrop, Dellwig, Gerschede, Borbeck-Mitte und Berge-borbeck (hier lebten 1871 15.513 Menschen) und der Bezirk IX im Südwesten, mit den heutigen Stadtteilen Bredeney, Schuir, Werden, Heidhausen, Fischlaken und Kettwig (hier lebten 1871 15.885 Menschen).
Dieser Bevölkerungszuwachs läßt sich aus den Zuwanderungen dieser Zeit erklären, die überwiegend aus dem östlichen, auch polnischsprachigen, Preußen kamen. Von den Ruhrunternehmen wurden Werber ausgesandt, die freie Fahrt für die Ledigen und freien Umzug für die Verheirateten versprachen. Dazu bekamen die Bergleute ein Handgeld bis 50 Mark, verbilligte Winterkartoffeln und sofort beziehbare Wohnungen. Zechen warben mit der Güte der Luft, die der Region in den späteren Jahren bekanntlich ihren schlechten Ruf einbrachte. Die genaue Zahl der Einwanderer aus dem Osten ist nie ermittelt worden; man schätzt, dass zwischen 1865 und 1925 allein aus Ostpreußen rund dreihunderttausend Menschen ins Ruhrgebiet kamen. Die Zuwanderungen verteilten sich aber nicht regelmäßig, so waren z.B. Werden, Steele, Witten und Wetter, also der Südrand des Ruhrgebiets, gar nicht von ihr betroffen. Die Zuwanderung aus Westdeutschland überwog in der nördlichen Zone am alten Hellweg, wo die größten Städte lagen: dies waren Duisburg, Mülheim, Essen, Bochum und Dortmund. Die teilweise künstlichen Stadtgebilde des Emschertals, wie Oberhausen, Gelsenkirchen, Wanne-Eickel, Herne und Castrop-Rauxel nahmen den großen Menschenstrom aus dem Osten auf. In den Städten zwischen Emscher und Lippe, Bottrop, Gladbeck und Recklinghausen, drängten sich neben den ostdeutschen Zuwanderern vor allem Holländer und Polen.
Am 3. Februar 1873 wurde aus dem Landkreis Essen (seit 1857) die kreisfreie Stadt Essen gebildet. Im Unterschied zu 1823 hat sich aus der Bürgermeisterei Altenessen die Bürgermeisterei Stoppenberg herausgebildet, und die Bürgermeisterei Borbeck brachte die Bürgermeisterei Altendorf hervor. Die Bürgermeisterei Rellinghausen entstand aus Teilen der Bürgermeistereien Steele-Land und Kettwig.

Wohnsituation

In den 80er Jahren verlangsamte sich der Wachstum Essens ein wenig. Schneller als Essen selbst wuchsen die später eingemeindeten Bürgermeistereien der Umgebung. In Werden und Steele lebten je 8.000 Menschen; die Einwohnerzahl des heutigen Essener Areals stieg bis 1885 auf 203.000.
Dem starken Bevölkerungsanstieg seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde jedoch nur unzureichend durch einen verstärkten Wohnungsbau Rechnung getragen. Essen war durch die hohe Wohndichte, die überfüllten Kleinstadt-häuser in engen Gassen eine verwundbare Stadt, da durch mangelnde Sauberkeit der Straßen, die fehlende Kanalisation, versumpfte Stellen im Stadtgebiet und die vielen privaten Schlachtanlagen seit 1866 vermehrte Cholerafälle auftraten. Erst um die Jahrhundertwende begannen sich die hygienischen Verhältnisse zu bessern, die Bedingungen unter denen ein Großteil der Bevölkerung aber wohnte waren noch immer unzureichend bis katastrophal. 1900 gab es im Stadtkern und den angrenzenden Stadtvierteln 36.634 Wohnungen, wobei 10.819 Wohnungen 2- und 3-Raum-Wohnungen waren. 46% der Einwohner wohnten also in zu knappen, 11% in ungenügenden und 9% in übervölkerten Wohnungen. Die Wohndichte wurde noch dadurch vergrößert, daß eine Vielzahl der Haushalte aus finanziellen Gründen gezwungen war, Untermieter aufzunehmen. Im Stadtkern lebte in jedem 5. Haushalt mindestens ein Untermieter. Der Stadtkern wurde wegen seiner Geschäfte und Kneipen gleichermaßen von Zimmermietern und Schlafgängern bevorzugt. Im Südviertel war der Anteil mittlerer und größerer Wohnungen relativ hoch; hier waren neben der Eisenbahndirektion, der Verein für bergbauliche Interessen und andere Verwaltungen mit besser bezahlten Angestellten angesiedelt. Schlafgänger bevorzugten eher das West- und das Mietskasernenviertel des Segeroth im Nordviertel, da sie in der unmittelbaren Nähe ihrer Arbeitsstätten lagen.

Innenstadt

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts waren die Grundstrukturen im städtischen Umfeld gelegt – die Stadt begann sich zu privatisieren. Die Limbecker Straße wurde die erste Fußgängerzone Essens. Der Markt war weiterhin geschäftlicher Mittelpunkt. Er lag im Schnittpunkt der sich verdichtenden Geschäftsstraßen. Vom Kopstadtplatz über die Rottstraße bis zum Viehofer Platz entwickelte sich in den 90er Jahren ein Vergnügungsviertel. Auch das Theaterleben erfuhr seine Vollendung, als die Schenkung Friedrich Grillos den Bau des 1892 eröffneten Stadttheaters ermöglichte. 1900 lebten in Essen 405.272 Menschen, wobei sich die Bevölkerung der Kernstadt mit 32.456 im Nordviertel des Stadtbezirks I konzentrierte. Daneben lebten im Bezirk III – in Altendorf, Frohnhausen, Holster-hausen, Fulerum, Haarzopf und auf der Margaretenhöhe – 65.005 Menschen. Bis 1910 verlor der Stadtkern 20,3% seiner Bevölkerung, bis 1939 weitere 25,1%; er war nun nicht mehr der Konzentrationsbereich der Bevölkerung, sondern neben der Wohnfunktion haben sich andere Funktionen angesiedelt. 1897 bis 1902 erfolgte die Umgestaltung des südlichen Eingangsbereichs der Innenstadt. Das ursprüngliche Bahnhofsgebäude von 1862 genügte immer weniger der steigenden Verkehrsleistung. Es wurden neue Bahnsteiganlagen gebaut, die Gleise wurden hochgelegt, wodurch die erste Unterführung am Kettwiger Tor entstand. Der Bahnhofsvorplatz war der Hauptknotenpunkt des öffentlichen Nahverkehrs im Altstadtbereich. 10 der 20 Straßenbahnlinien führten in den 30er Jahren über den Bahnhofsvorplatz. Der Viehofer Platz wurde als zweiter wichtiger Knotenpunkt von 6 Straßen-bahnlinien angefahren. Der Straßenbauinspektor und Leiter des Stadterweiterungsamtes erarbeiteten 1915 einen Bauzonenplan, der ausstrahlende Radialstraßen vorsah, die die Erschließung des gesamten Stadtgebietes durch Straßenverkehr und Straßenbahn gewährleisten sollten, was bis 1929 auch realisiert wurde.
Ausgelöst durch die neue Eingangssituation der Altstadt am Hauptbahnhof begann sich räumlich und strukturell von der Jahrhundertwende bis zum Zweiten Weltkrieg ein neues Geschäftsviertel auszubilden. Zu den Hauptgeschäftsstraßen entwickelten sich die Burg- und die Kettwiger Straße, die Limbecker und die Viehofer Straße. Mit der Ausdehnung des Geschäftsviertels ging eine Spezialisierung einher; aus Gemischt- Kolonial- und Manufakturwarenhandlungen wurden Spezialgeschäfte. Die neuen Kauf- und Warenhäuser wurden zu Publikums-magneten. 1912 errichtete z.B. die Firma Althoff nach dem Ankauf mehrerer Grundstücke am Limbecker Platz ein architektonisch modernes Warenhaus mit 17 Schau-fenstern, einem Haupt- und 2 Nebeneingängen. 1920 wurde die Firma Althoff von der Karstadt AG übernommen.
Nach und nach entstanden z.B. die städtischen Kranken-anstalten, 1908 eine königlich-preußische Maschinen-bauschule und eine Baugewerkschule, großstädtische Hotels, neue Kirchen, repräsentative Gebäude für die Justiz und die Polizei und die Synagoge.

Eingemeindungen

Bei all diesen Entwicklungen im innerstädtischen Bereich, dürfen die heutigen Stadtteile natürlich nicht außer Acht gelassen werden. Bis 1929 wuchs die Stadt Essen mit den umliegenden Ortschaften zusammen.
Am 1. August 1901 begannen die Eingemeindungen mit der Bürgermeisterei Altendorf, wozu die heutigen Stadtteile Altendorf, Frohnhausen und Holsterhausen gehörten. Hierdurch verdoppelte sich das Areal Essens und die Stadt zählte 66.000 Einwohner mehr. Die Firma Krupp hatte sich sehr um diesen Schritt bemüht, da sich ihre Fabrik derart vergrößert hatte und inzwischen in 2 Gemeinden lag. Durch die Eingemeindung lagen die Krupp-Werke nun ganz in Essen, was ihr erhebliche Steuervorteile brachte. Eine erwähnenswerte Besonderheit dieses Stadtteils ist die Margarethenhöhe, die von dem Architekten Georg Metzendorf erbaute sogenannte Gartenstadt. Nach englischem Vorbild entstand hier eine beispielhaft geplante Arbeitersiedlung, die eine eigenständig durchgrünte Kleinstadt in ländlicher Umgebung, mit gleichzeitiger Nähe zu den industriellen Arbeitsplätzen darstellt. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden auch die für das Ruhrgebiet typischen Zechensiedlungen, von denen einige inzwischen unter Denkmalschutz stehen. Am 5. August 1905 öffnete die Eingemeindung von Rüttenscheid den Weg nach Süden und bezog sogar ein wenig Wald in das Stadtareal ein, der das Kernstück des späteren Stadtwalds werden sollte. Essen vergrößerte sich um knappe 6 Quadratkilometer und 22.000 Menschen. Seit 1800 hatte sich die Fläche Essens schon verdreifacht. Die dritte Eingemeindung erfolgte 1908 mit der kleinen Bauernschaft Huttrop.
1910 folgte der bis dahin größte Landerwerb mit der Bürgermeisterei Rellinghausen im Südosten an der Ruhr. Hier befanden sich neben Kohlenzechen und Eisenhütten aus dem Beginn der Industrialisierung auch bewaldete Gebiete. Zusammen mit Fulerum, ebenfalls 1910 einge-meindet, stieg die Einwohnerzahl um weitere 14.000 Menschen. Gegenüber der Fläche der alten Stiftsländer im Mittelalter, war 1910 knapp ein Viertel in der Stadt Essen zusammengefaßt; die Städte Werden, Steele und Kettwig und die Bürgermeistereien Altenessen, Stoppenberg und Borbeck bildeten weiterhin den Landkreis Essen.
Über 60.000 Einwohner kamen 1915 mit der Eingemeindung der Bürgermeisterei Borbeck hinzu. Auch Altenessen und Bredeney wurden 1915 eingemeindet, wodurch sich die Familie Krupp, die ja in Bredeney wohnte, nun auch, wenn auch widerwillig, unter die Herrschaft des Essener Oberbürgermeisters stellte.
Als am 8. August 1929 das preußische „Gesetz über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets“ in Kraft trat, erhielt Essen endgültig seine heutige Gestalt. Allein die Stadt Steele brachte durch die Eingemeindung 40.000 neue Essener. Im Norden griff Essen nun über die Emscher, im Südosten und Süden über die Ruhr hinaus. Die Stadt hatte neue Industrie- und Zechenanlagen erworben als auch ihren Siedlungs- und Erholungsraum beträchtlich erweitert.

Am 11. März 1945 war die Essen das Ziel des furchtbarsten Sprengbomben-Angriffs, der im Zweiten Weltkrieg überhaupt stattgefunden hat.

Fotos:
1: Copyright: Fotoarchiv Stiftung Ruhr Museum; Foto: Ernst Flügge
2: Copyright: Ruhr Museum; Foto: Stadtbildstelle Essen
3: Copyright: Fotoarchiv Ruhr Museum; Foto: Heinrich Fleischhauer

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