Caroline Link greift auch in ihrem lange erwarteten vierten Film das Thema auf, das sie immer wieder aufs Neue beschäftigt: Familie und familiäre Wurzeln.
[ruhr-guide] „IM WINTER EIN JAHR“ ist in erster Linie eine Familiengeschichte und damit ein „typischer“ Link-Stoff. Aber er geht auch darüber hinaus: Im Mittelpunkt steht die emotionsgeladene Beziehung zwischen dem Mädchen und dem Maler. Zwei Verletzte, Angeschlagene, treffen in einer schwierigen Lebenssituation aufeinander, können sich helfen und sind dadurch in der Lage, aus ihrer Erstarrung auszubrechen und einen nächsten, neuen Schritt zu wagen. Die Regisseurin wollte nach ihrem Oscar-Erfolg „NIRGENDWO IN AFRIKA“ (2001) einen Film drehen, der hauptsächlich durch das nuancenreiche Spiel der Hauptdarsteller etwas über das Leben erzählt. Ein Vorbild für die humorvoll-lakonische Beziehung zwischen dem Maler und dem Mädchen war Sofia Coppolas LOST IN TRANSLATION (2003), ein Film, den sie verehrt, aber auch Robert Redfords subtiles Familienpsychogramm „ORDINARY PEOPLE“ (1980).
Eliane Richter (CORINNA HARFOUCH) und ihr Mann Thomas (HANNS ZISCHLER) leben gut situiert in München. Sie arbeitet erfolgreich als Innenarchitektin, er hat als renommierter Bioniker gerade ein neues Buch veröffentlicht. Sohn Alexander (CYRIL SJÖSTRÖM), 19, besucht ein Elite-Internat für Spitzensportler in Berchtesgaden, während die talentierte 22-jährige Tochter Lilli (KAROLINE HERFURTH) Tanz und Gesang studiert.
Keiner aus dieser „Vorzeigefamilie“ kann es fassen, dass der fröhliche, unkomplizierte Alexander plötzlich auf tragische Weise ums Leben kommt. Und keiner von ihnen kommt mit den Folgen zurecht.
Die zutiefst verstörte Eliane gibt bei dem berühmten Maler Max Hollander (JOSEF BIERBICHLER) ein Porträt ihrer beiden Kinder in Auftrag. Sie will eine Erinnerung haben an den Sohn, den sie nicht loslassen kann, und erhofft sich insgeheim, mit dem Bild eine unbeschwerte, vergangene und vielleicht nie da gewesene Familienidyllle heraufbeschwören zu können. Als Vorlage für das Porträt von Alexander stellt sie Max Fotos und Videoaufnahmen ihres Sohnes zur Verfügung. Lilli soll, nach dem Willen ihrer Mutter, selbst zu einigen Sitzungen erscheinen.
Lilli ist davon zunächst wenig begeistert. Sie findet Elianes Plan, ihren toten Bruder „als Dekoration“ an die Wand zu hängen, idiotisch. Überhaupt steht sie ihrer erfolgsorientierten Mutter äußerst kritisch gegenüber – sie selbst lebt nicht gerade diszipliniert. Obwohl sie eine talentierte Tänzerin ist, hat sie Probleme an der Theaterakademie. Eigentlich soll sie in einer Inszenierung von „Alice im Wunderland“ die Hauptrolle tanzen, doch nach trotzigen Auseinandersetzungen mit der Lehrerin fliegt sie raus. Auch mit Aldo (MIŠEL MATIČEVIĆ), einem Künstler, in den sie sich verliebt hat, läuft es nicht gut. Viel zu sehr klammert sie sich an ihn, sucht etwas in dieser Beziehung, das Aldo nicht zu geben bereit ist. Lilli steht mit sich und dem Leben auf Kriegsfuß, und begegnet auch Max zunächst voller Vorbehalte.
Während der wesentlich ältere Maler Skizzen und Fotos von seinem Modell fertigt, versucht er, Lilli zu „sehen“ und zu verstehen. Für ein wahrhaftiges Porträt muss er mehr über seine Modelle und ihr Verhältnis zueinander erfahren. Dabei bleibt ihm die tiefe Beziehung der Geschwister zueinander nicht verborgen und er erkennt, dass sich Lilli seit dem Tod des Bruders auf der Suche nach sich selbst und ihrer Schuld befindet. Im Zuge der aufwändigen Arbeit an dem Doppelporträt wird Max immer stärker in das komplexe, emotional aufgeladene Familiengeflecht hineingezogen.
Getrieben von dem Bedürfnis zu verstehen, was Alexander und dessen Tod für Lilli und ihre Familie bedeuten, begleitet er die junge Frau auf Spurensuche in die Vergangenheit. Das Zusammensein mit Lilli hat auch Auswirkungen auf Max. Denn auch im Leben des Malers haben persönliche Verluste tiefe Spuren hinterlassen. Die beiden verletzten Seelen fühlen sich immer stärker zueinander hingezogen. Ein Vertrauensverhältnis entsteht, das ihnen hilft, langsam und Schritt für Schritt die schmerzhafte Vergangenheit hinter sich zu lassen.
„Faszination Porträtzeichnen“
Wenn der Künstler Werner Maier über seine Porträtbilder spricht, dann fallen Begriffe wie „Gesichtslandschaften“ und „Liniengeflechte“. Ein Porträt ist eben viel mehr als „nur“ das Bild eines Menschen. Für den Künstler bedeutet es immer auch eine Herausforderung – spiegelt sich doch in einem guten Porträt viel mehr als nur das äußerlich Sichtbare, sondern vielmehr auch ein Teil der Gesamtpersönlichkeit wieder. Neben der aquarellierten Bleistift- und Buntstiftskizze wird in der vorliegenden Akademie auch das minimalistische Porträt präsentiert – mit filigranem Strich zeigt der Künstler, wie man der Herausforderung Mensch souverän gerecht werden kann. Porträts mit verdichtetem Grafit-Duktus und Gesichtslandschaften mit
Pittkreide runden den faszinierenden Inhalt dieses Buches ab.
„Porträt – Künstlerische Darstellung“
Die Sprache der Mimik ist eine nonverbale Kommunikation. Die Möglichkeit, über das Gesicht das Innenleben des Gegenübers kennen zu lernen, löst nicht nur in der Realität, sondern auch durch das Porträtbild rückwirkende Empfindungen aus. Das Gesicht ist Mittelpunkt der kritischen Beobachtung und Deutung von jedem Einzelnen. Diese Vorgabe lässt das Porträtieren für den Zeichner und Maler zu einem herausfordernden Bildthema werden. Dieser Kunst-Ratgeber vermittelt zum einen maltechnische und künstlerische Grundlagen und zum anderen die Ausdrucksmöglichkeiten von Formen, Farben und Gestaltung. Dieses Wissen führt den Leser zu eigenen individuellen Porträtbildern.
IM WINTER EIN JAHR
Regie: Caroline Link
Drehbuch: Caroline Link. Nach dem Roman „Aftermath“ von Scott Campbell
mit Karoline Herfurth, Josef Bierbichler, Corinna Harfouch, Hanns Zischler, Mišel Matičević, Cyril Sjöström, Jacob Matschenz
Kinostart: 13. November 2008