Rund um die Städte entlang der Autobahnen 40 und 42, blüht die kunterbunte Subkultur der Rockabillys: Zwischen Oberhausen, Bochum und Essen gehören Tülle, Haarspray und Koteletten zur Tagesordnung. Wie die Filmemacherinnen Christin Feldmann und Claudia Bach in ihrem Dokumentarfilm „Rockabilly Ruhrpott“ zeigen, pflegt der Pott das Lebensgefühl der 50er Jahre, es lebe der Rock ’n‘ Roll! Das Filmteam stellt die muntere Szene, zahlreiche ihrer liebenswerten Paradiesvögel und nicht zuletzt die schwungvolle Musik vor. „Rockabilly Ruhrpott“ ist bei Lighthouse Home Entertainment auf DVD erschienen (deutsch, mit englischen Untertiteln). Sie bietet als Extras den unterhaltsamen Kurzfilm „Gray Hawk“, einen Kinotrailer und Konzertmitschnitte.
[ruhr-guide] Der Ruhrpott ist nicht erst seit Ruhr2010 als melting pot der Kulturen bekannt. Hier wächst zusammen, was zumindest auf den ersten Blick erstmal kaum Gemeinsamkeiten hat. Eine ganz starke Seite der Region und seiner Einwohner. So verwundert es kaum, dass auch zahlreiche Subkulturen entlang der Ruhr ihre Heimat gefunden haben. Als Christin Feldmann und Claudia Bach einen Dokufilm über eben solche Subkulturen drehen wollten, stiessen sie bei der Recherche auf Gothics, Punks und andere Gruppen, befanden aber die sich an den 50er Jahren orientierenden Rockabillys am spannendsten. Das offene Zugehen auf die Szene sorgte nicht nur für die notwendige Akzeptanz, sondern führte zu reger Beteiligung und Unterstützung. Das merkt der Zuschauer: „Rockabilly Ruhrpott“ beweist Herzblut und Schwung, erklärt Grundlagen, ungeschriebene Gesetze und gewährt spannende Einblicke in die kultige Welt der Rockabillys.
Die verlockenden 50er Jahre
Die Filmemacherinnen portraitieren mit Hilfe zahlreicher Gesprächspartner die Szene rund um Rock’n’Roll, Tülle und ausgelassenem Tanz. Die Rockabillys plaudern über Lebenseinstellung, Alltag und die Abgrenzung zum Gewöhnlichen. Dabei hängen sie keineswegs nostalgisch der Vergangenheit nach. Vielmehr leben die Rockabillys unter Beachtung der Ursprünge einen Mischmasch aus Historie und modernen Einflüssen. Statements wie „Ich geh auch so zur Arbeit“ oder „Koteletten müssen sein“, zeugen von Entschlossenheit und gleichzeitigem Augenzwinkern. Der Film versäumt neben all jenen unterhaltsamen Passagen nicht, informativ Herkunft und Historie dieser geschichtsträchtigen Kultur vorzustellen. Ihre Wurzeln in Großbritannien und den USA der 1950er Jahre verortend, ging die Entwicklung in den 70er und 80er Jahren mit einer erneuten Welle aus England voran, bis moderne Strömungen das heutige Bild festigten. Im Ruhrpott seien die Rockabillys seit dem 70ern vertreten, heute lebt hier der harte Kern.
Rockabilly-Facetten
In knapp 60 Minuten schafft der Film den Rundumschlag, arbeitet verschiedenste Facetten heraus, die Rockabilly ausmachen. Angefangen bei den großen Themen wie Lebensgefühl und Alltagsgestaltung, über Szenetreffen, Konzerte und Festivals, bis hin zu spannenden Ausführungen zur sozialen Charakteristik. So werden beispielsweise Männer und Frauenrollen und daraus resultierende Geschlechterunterschiede genannt. Pin-Up-Kult, Mode und Eigeninszenierung sind wichtige Eckpfeiler der Definition. Hier hat man noch Anstand. Der Mann als Gentleman und die Frau als klassische Diva. Rockabilly bedeutet für die Protagonisten weitaus mehr als nur feiern und tanzen. Tattoos haben einen mindestens gleichwertigen Stellenwert, wie die Tolle. Körperkult wird im Allgemeinen recht groß geschrieben. Rockabilly-Anhänger sind nicht zu übersehen! Auch ihre Autos erinnern an die Hochzeit der kolossalen amerikanischen Strassenkreuzer.
Vernetzte Szene
Wie für viele andere ist das Internet zur wichtigen Kommunikationsplattform geworden. Webseiten und Foren dienen zur Verabredung oder Bekanntmachung der Treffen und Festivaltermine, Webshops verkaufen Musik, Kleidung und andere Güter, an die früher nur schwer heranzukommen war. Die Rock’n’Roll-Welt rückt zusammen. So treffen sich auf den zahlreichen Festivals nicht nur die lokal Ansässigen, auch Besucher aus den europäischen Nachbarländern kommen dazu. „England, Spanien, Frankreich egal wo, im ganzen Ruhrgebiet. Also man kennt sich!“ wie ein Protagonist treffend beisteuert. Die weitgehende Nutzung des Internets hilft zudem, die jüngere Generation anzusprechen. Die Szene altert und hat Nachwuchsprobleme. „Rockabilly Ruhrpott“ verschließt sich keineswegs den problematischeren Themen, durch die zahlreichen Interviews gelingt eine fundierte Analyse mit umfassender Bestandsaufnahme. Auch das den Rockabillys oft ein Hang zur rechten Szene nachgesagt wird, wird nicht unter den Teppich gekehrt und mit einem klaren Statement eindeutig zurückgewiesen „Wir sind multikulti. Da darf jeder mitmachen“. „Rockabilly Ruhrpott“ ist sehenswert und unterhaltsam. Er verpackt in seine 60 Minuten Laufzeit reichlich Informationen, unterhaltsame Passagen und analysierende Betrachtungen. Erweitert durch die unterstützenden Extras, kann sich diese DVD absolut sehen lassen.
(mo)
Fotocredit: FILMLICHTER GmbH