Die französische Arte-Produktion erzählt mitreissend von der aufwühlenden Familiengeschichte der Valadines. Patriarch Alex hat in den goldenen Jahren des Erotikfilms seine Firma „Xanadu“ gegründet und mit klassischen Pornofilmen gutes Geld verdient. Heute muss das Label seinen Platz auf dem hart umkämpfen Markt vehement verteidigen. Mittlerweile hat sich die Branche gewandelt, das Internet gibt den Ton an, neue Akteure bestimmen. Das Unternehmen muss von der nächsten Generation neu aufgestellt werden, um seinen Platz zu verteidigen. Anfang März veröffentlichte Sunfilm die acht Folgen umfassende erste Staffel dieser überaus gelungenen, fesselnden und ungewöhnlichen Serie auf DVD und Blu-ray.
[ruhr-guide] Dies ist der Beweis, dass ansprechende Fernseh-Unterhaltung nicht zwingend aus den USA kommen muss, sondern auch in Europa Hervorragendes produziert wird. Nüchtern, abgeklärt und ohne jedes Klischee gelingt den Regisseuren Jean-Philippe Amar und Daniel Grou entgegen jeder Vorurteile die genaue Analyse der heutigen Erotikindustrie, die gepaart mit einer brachialen Familiengeschichte den Zuschauer vor dem TV-Gerät bannt.
Es war einmal …
Ende der 1970er, Anfang der 80er-Jahre steigt Vater Alex mit seiner Produktionsfirma „Xanadu“ rasant auf. Mit Pornofilmen traf Xanadu punktgenau den Geschmack der Zuschauer, Alex‘ Ehefrau Elise Jess wurde zum glamourösen Star der Branche. Heute, Jahrzehnte danach, herrschen schwere Rangeleien. Das Internet kommt mit seinen neuen Formen einer Revolution gleich, alte Strukturen werden aufgebrochen, neue Akteuere tummeln sich auf dem Markt. Xanadu muss ums überleben kämpfen. Während sich der Patriarch mit den zwanghaft benötigten Neuerungen schwer tut, bringen die Söhne Lapo und Laurent sowie Tochter Sarah verschiedenste Ideen ein, die Xanadu bei der unvermeidbarenNeuausrichtung helfen (könnten). Alex‘ Dickkopf und ein dunkles Familiengeheimnis, dass unaufhaltsam ans Tageslicht drängt, gefährdet die ohnehin schon schwere Zusammenarbeit der Valadine-Exzentriker.
Überzeugendes Konzept
„Xanadu“ überzeugt in erster Linie durch sein gelungenes Konzept. Die stellenweise hochdramatische Geschichte bereitet sich vor der undurchsichtigen Erotik- und Pornobranche der heutigen, vom Internet in ihren Grundsätzen veränderten Realität aus. Neue Regeln bestimmen das Spiel, die noch nicht jeder Spieler auf dem Platz verinnerlicht hat. Ambivalenz wird bei Xanadu gross geschrieben, die Vielseitigkeit der Story überrascht und begeistert gleichermaßen. So sind es verschiedenste Handlungsstränge, die im Resultat das begeisternde Ganze ergeben.
Keine einfache Familie
Da ist die Geschichte der beiden Söhne Lapo und Laurent und die von Tochter Sarah. Letztgenannte kehrt nach einem Streit mit Vater Alex nach jahrelanger Abwesenheit ins Elternhaus zurück, steigt bei Xanadu ein, um einen neuen Star zu finden, der den langfristigen Erfolg sichern soll. Nicht nur, dass ihre Rückkehr von der zurückliegenden Auseinandersetzung überschattet ist, auch sonst macht weder Sarah noch ihrer Tochter jemand große Willkommensgeschenke, ganz im Gegenteil! Laurent driftet immer weiter in seine eigene Wunschwelt ab, da er sich nie gegen den schier übermächtigen Vater durchsetzten und eigene Ideen verfolgen konnte. Anders Lapo, statt wie sein Bruder innerlich am Patriarchat seines Vaters, der ehemaligen Regie- und Produktionslegende, zugrunde zu gehen, entzieht sich Lapo dem Einzugskreis der Familie. Auf eigene Faust dreht er Webclips, kleine Produktionen ohne große Handlungen. Das was Alex als modernen Unsinn abtut und dem er sich verschließt, reift bei Lapo zur Perfektion – zu dem, was moderne Kunden verlangen. Als Sarah dies erkennt, versucht sie den abtrünnigen Lapo in den Schoss der Familie zurückzuholen. Ihre Suche nach einem neuen Star wird zur Herkulesaufgabe, das fragile Konstrukt wackelt mehr als einmal. Ohne Rückhalt, stets unter dem Druck des eigenbrötlerischen und destruktiven Vaters, versuchen die Kinder ihren Weg zu beschreiten. Das große Scheitern droht, Fehler werden gemacht. Doch dann die mögliche Wende. Das Schicksal ihres Lebens, der Firma und vielleicht der gesamten Familie lastet auf den Schultern der fragilen Figuren, die nicht nur gegen jeden Widerstand ankämpfen oder dies zumindest versuchen, sondern sich auch nach Frieden innerhalb der Familie sehnen, der wohl nie erreichbar wird.
Verflochten und doch nuanciert
Doch nicht nur die Familiengeschichte der Valaines befindet sich auf dem Seziertisch des Duos Grou/Amar. Mir der bemerkenswerten Kreation schafft es einen umfassenden Blick auf das Erotikgeschäft, dessen ungreifbaren Zustand und die Akteure. Jeder Hauptcharakter und die zahlreichen Nebenfiguren haben ihre eigene Geschichte: Der Fall des gefeierten Pornodarstellers zum abgehalfterten Webcam-Modell, die Vergänglichkeit des künstlichen Körpers einer Erotikqueen, der vereinsamte Regisseur, der sich insgeheim nach Nähe sehnt, die eben nicht körperlicher Natur ist, oder der Nachwuchs-Geschäftsführer, der endlich mal nichts mit dem durchtriebenen Gewerbe am Hut haben will und nicht zuletzt der Vater, der den Betrieb einst aufbaute, aber unter großen Sorgen leidet, wenn es um dessen Zukunft geht. Fremde Finanziers bedrohen die Autonomie, bohrende Zweifel an der Expertise des Nachwuchses und so weiter. Das Leben im wilden Gewerbe ist schwer, viel schwerer als so mancher Zuschauer denken mag.
Umsetzung und Veröffentlichung auf DVD & Blu-ray
Vor ca. einem Jahr auf Arte ausgestrahlt, kann leider wie so oft kaum von einem Quotenerfolg gesprochen werden. Wie schon die exzellente deutsche Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf ging „Xanadu“ nahezu unter. Und das, obwohl die Inszenierung kunstvoll und spannungsgeladen zugleich, absolut überzeugt. Das gefühlvolle Spiel der tollen und zum Teil mutigen Schauspielerinnen und Schauspieler ist geprägt von Ausdruckskraft, Stärke und überzeugendem Auftreten. Die Serie bleibt in ihrer Darstellungsweise stets niveauvoll, nackte Haut wird durchweg handlungsunterstützend eingesetzt, nicht ihrer selbst willen. Freilich sind die Bilder nicht immer einfach zu verdauen. Sie fordern den Zuschauer, sind nicht leicht verdaulich, aber setzten die Absichten der Kreativen höchst adäquat um. Damit ist Xanadu gänzlich anders als der Einheitsbrei, der üblich über die Schirme flackert. Zu hoffen bleibt, dass die Serie durch den Heimkino-Release an Aufmerksamkeit gewinnt. Das Label Sunfilm veröffentlichte die erste Staffel am 8. März auf DVD und Blu-ray. Bild- und Tonqualität (deutsch, französisch, Dolby Digital 2.0, optionale deutsche Untertitel) entsprechen den Standards bei TV-Produktionen. Bonusmaterial wird leider nicht geboten, was den Eindruck leicht schmälert.
Eindeutig empfehlenswert
Als große Stärke stellt sich die ambivalente Betrachtung des Sachverhalts heraus. Die Spannungen innerhalb der Familie, ihre Tragödien und Störungen erweisen sich als Spiegelbild der Branche, die von Schikane, Betrug und Intrige bestimmt ist. In „Xanadu“ hat jeder mit seinem Schicksal zu kämpfen. Eine der stärksten europäischen Serien der letzten Jahren empfiehlt sich allen, die zu anspruchsvoller aber auch unbequemer Unterhaltung bereit sind. Die ist zwar nicht immer einfach, zeigt aber wie gut gemachtes Fernsehen aussieht!
(mo)
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